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Unterkühlt: Sabine Timoteo mit Valentin Hagg in “Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“.
Presse

„Ich empfinde mich als Geschichtenerzählerin“

24. April 2019

Sabine Timoteo über „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ – Roter Teppich 05/19

Sabine Timoteo wurde 1975 in Bern geboren und spielte eine Zeit lang an der Deutschen Oper in Düsseldorf. Nach ihrem Filmdebüt in „L’amour, l’argent, l’amour“ im Jahr 2000 entwickelte sie sich zu eine der wichtigsten Darstellerinnen im Independent- und Autorenkino. Nach Rollen in „Gespenster“, „Der freie Wille“, „Die Mitte der Welt“ und „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden?“ ist sie nun in der André-Heller-Verfilmung „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ zu sehen, die am 25. April im Kino startet.

trailer: Frau Timoteo, konnten Sie sich leicht mit Ihrer Rolle identifizieren – immerhin lebt sie in einer anderen Zeit, in einem sehr speziellen sozialen Umfeld und ist auch sonst ein echter Charakter?

Sabine Timoteo: Widerstände bei Rollen gibt es eigentlich immer. Aber bei ihr lag der größte Widerstand sicherlich darin, dass es die Frau tatsächlich gab. Da bestand meine Aufgabe dann zunächst darin, eine Haltung dazu zu finden und mir selbst bewusst zu werden, wie ich mit der Tatsache umgehe. Ich habe dann beschlossen, wirklich so wenig wie möglich über die Frau zu erfahren – ich habe auch die Romanvorlage für den Film gar nicht gelesen. Insofern haben wir hier wirklich eine Kunstfigur erschaffen. Was mir dabei geholfen hat, war die feste Überzeugung von Regisseur Rupert Henning und seiner Produzentin Isabelle Welter, dass ich das spielen sollte. Die beiden waren sich da so sicher, dass mich das dann wie eine Krankheit angesteckt hat. (lacht) Eine tolle Krankheit, denn das hat mir Sicherheit gegeben, meiner Vorstellungskraft einfach Raum zu lassen. Und ich hatte ganz tolle Partner bei den Dreharbeiten, denn die Figur ist eine Kreation von vielen Menschen, sowohl die Kostümbildnerin als auch die Maske haben dazu beigetragen, genauso wie auch die Ausstattung und meine Spielpartner. Wenn der Funke der Kreativität entfacht wird, dann trägt das einfach – und das ist in diesem Fall passiert!

Für Regisseur Rupert Henning ist der Film wirklich ein Herzensprojekt, denn er hat sich in den letzten zehn Jahren damit beschäftigt. In welchem Stadium der Produktion sind Sie denn zum Projekt dazu gestoßen?

Ich glaube, dass war erst ein halbes Jahr vor Beginn der Dreharbeiten. Isabelle sagte mir zwar, dass sie schon sehr lange wussten, dass ich die Rolle spielen soll, aber die Anfrage kam dann doch erst kurz vor Start. Früher wusste ich noch nicht einmal, wer André Heller ist. Mein Vater hat mir dann gestanden, dass er in seiner Jugend ein großer Fan von Heller war – vor allem von dessen Radiosendungen. Der war dann ganz begeistert, dass ich mit dem André Heller nun irgendwas zu tun haben werde.

Hatten Sie denn tatsächlich etwas mit André Heller zu tun, er soll sich doch weitgehend aus der Verfilmung seines autobiografischen Romans herausgehalten haben?

Genau, so war das auch. Heller meinte, der Film muss ein eigenständiges Produkt werden. Es sollte ja auch nicht die Verfilmung seines Lebens werden, sein Leben sollte lediglich die Basis und Inspiration für die Geschichte des Films liefern. Ich kann mir vorstellen, dass es für ihn keine leichte Übung war, den Film dann am Ende zu sehen. Die Distanz zur Verfilmung bis zur Sichtung des Films durchzuhalten, war sicherlich nicht einfach. Ich glaube aber schon, dass er zufrieden ist, auch mit der Reaktion des Publikums, denn am Ende hatte er ein großes Lächeln im Gesicht und hat sich bedankt. Ich glaube, danach konnte er beruhigt schlafen gehen und musste keine Angst vor Albträumen haben. (lacht)

Haben Sie sich irgendwie auf die andere Zeit und die damaligen Verhaltensweisen vorbereitet oder kommt das von alleine, wenn man am Set in die entsprechenden Kostüme gesteckt wird?

Genau, das ist das eine. Wenn man entsprechend geschminkt, gekämmt und in die Kostüme hineingequetscht wird, dann kann man sich nur noch auf eine bestimmte Weise bewegen. Man „verhält“ sich dann, es ist wirklich ein „Verhalten“. Das ist bei mir dann wirklich im Spiel entstanden, viel vorgenommen hatte ich mir dafür nicht. Ich wusste, dass diese Emma Silberstein nie ein Wort zu viel redet, aber auch nie eines zu wenig. Sie ist sehr überlegt, wenn sie den Mund aufmacht. Das hat sich aber durch den Text aus dem Drehbuch so ergeben, ich musste da nicht improvisieren. Außerdem musste die Figur nicht realistisch aus der Zeit heraus sein, sondern wird aus der Sicht ihres Sohnes geschildert, deswegen durfte sie auch überzogen sein. Es ist der Blick eines Kindes auf seine Eltern und die Zeit.

Mit Kindern und Tieren soll man eigentlich nicht vor der Kamera spielen, weil man Gefahr läuft, von ihnen an die Wand gespielt zu werden. Hatten Sie diese Befürchtung bei Ihrem tollen Filmsohn Valentin Hagg nicht auch?

Nein, ein An-die-Wand-Spielen kenne ich gar nicht, für mich spielt man immer zusammen. Ich liebe es, mit Kindern oder Tieren zu spielen, ich habe davor keine Angst. Ich bin ja selbst ein Tier, und ein Kind auch noch halb, insofern gibt es da keine Probleme. (lacht)

Und dann auch noch Karl Markovics mit seinen exzentrischen Auftritten – da ist es umso erstaunlicher, dass Sie mit einer solch zurückhaltenden und unnahbaren Figur trotzdem starke Gegenakzente setzen können...

Ich denke keine Sekunde daran, mich behaupten zu müssen, sondern ich spiele einfach meine Rolle. Ich habe ja eine ganz klare Aufgabe in der Geschichte des Films, und die versuche ich, so gut wie möglich zu verkörpern, mehr nicht. Wenn man sich wirklich zuhört beim Spielen, und dann auch auf das reagiert, was man hört, dann ergibt sich etwas, dann erklingt eine Musik, und dann stimmt das Ganze auch.

Sie sind gebürtige Bernerin, aufgewachsen in Lausanne, und spielen mittlerweile in ganz Europa in den unterschiedlichsten Sprachen. Gibt es denn eine Sprache, in der Sie sich besonders wohl fühlen?

In gar keiner, ehrlich gesagt, am liebsten schweige ich. (lacht) Nein, es gibt wirklich keine, denn ich habe auch keine Muttersprache in dem Sinne. Ich wurde in Bern geboren, dann sind meine Eltern nach Amerika gezogen. Die erste Sprache, die ich gehört habe, war wohl Schwyzerdütsch, das ist ja ein Dialekt, aber die erste Sprache, die ich gesprochen habe, war tatsächlich Englisch. Als ich fünf Jahre alt war, sind wir wieder zurückgezogen in die Schweiz, dann allerdings in die französischsprachige! Da musste ich dann im Kindergarten und in der Schule Französisch lernen. Deshalb weiß ich gar nicht, was meine Muttersprache ist. Selbst mein Schwyzerdütsch ist nicht so natürlich wie das von jemandem, der wirklich in Bern aufgewachsen ist.

Also eine Weltbürgerin im wahrsten Sinne – die nun auch noch mit dem Lettischen Filmpreis für „Melanijas hronika“ ausgezeichnet wurde – auch eine verrückte Geschichte, oder?

Ja, total skurril! Leider lief der Film bislang ja noch nicht in Deutschland, dafür aber auf vielen Festivals wie in Tallinn und beim Camerimage Film Festival in Polen. Filme, die etwas spezifischer sind, finden ja oft dann keinen deutschen Verleih. Aber es ist wirklich ein wahnsinnig eindrucksvoller Film geworden, und es ist der lettische Film mit den höchsten Zuschauerzahlen aller Zeiten!

Beim Berlinale-Film „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ haben Sie am Drehbuch mitgeschrieben – können Sie sagen, wie es dazu gekommen ist?

Ich denke ja bei Filmprojekten immer mit. Ich denke, man schreibt als Schauspieler mit, ohne einen Stift in die Hand zu nehmen. Es gibt Bücher, die schon total fertig geschrieben sind, und es gibt andere, an denen man noch mitschreiben muss. Ich mache das sehr gerne, habe ich schon immer gemacht. Das ist für mich Teil meiner Arbeit. Nun hat Philip Gröning mich bei „Mein Bruder…“ als Co-Autorin genannt, wobei ich mich selbst eher als Mitdenkerin bezeichnen würde. Derjenige, der es wirklich geschrieben hat, war Gröning. Er hat mich mit genannt, weil ich von Anfang an bei dem Projekt mit dabei war – beim Mitdenken und beim Ausdenken. Ich empfinde mich nicht als Autorin, sondern als Geschichtenerzählerin, egal, ob ich spiele, ob ich schreibe oder selbst einen Film mache.

Können Sie etwas zu Ihren Ambitionen als Filmemacherin erzählen?

Im letzten Jahr lief „Don't Tell Me You Can't Sing“ auf dem Oldenburg-Filmfestival, und dort wurde er für den Independent German Film Award nominiert. Was ich selbst inszeniere, sind eher experimentelle Sachen. Dass der Film in Oldenburg lief, hat mich sehr gefreut, denn er ist schwierig und auch anstrengend zu schauen. In dieser Richtung werde ich auch weitermachen, mit dem Geschichtenerzählen, in welcher Weise auch immer. Ich liebe es, zu spielen. Aber es gibt auch ein Forschungsfeld neben dem, das mich interessiert. Abseits von meiner Aufgabe als Schauspielerin nehme ich mir gerne Zeit und Raum zum Experimentieren. Film ist so vielfältig, und doch ist das, was wir in den Kinos sehen, auch Autorenfilme, meist Mainstream. Ich interessiere mich aber auch für abseitigere Formen von Film, die eher experimentell sind. Da gehen Räume auf für mich, die mich inspirieren. Es gibt auch andere Menschen, die damit etwas anfangen können, wenn es auch nicht viele sind. Geld verdiene ich mit diesen Filmen sicherlich nicht, aber es muss einfach spannend bleiben für mich! Sonst interessiert es mich irgendwann nicht mehr, aber ich möchte nicht, dass mich das Geschichtenerzählen irgendwann nicht mehr interessiert. Ich möchte Geschichten erzählen, bis ich nicht mehr atmen kann.

Interview: Frank Brenner

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