Hat man die ersten beiden Räume hinter sich gebracht, ist es fast schon geschafft: der Südpol ist erreicht! Das Publikum hat ein paar eisige Momente hinter sich und kann nun das Packeis in der wiegenden See aus der bequemen Perspektive des Zuschauersessels in der Videoprojektion verfolgen. Zwei Extremräume waren zu durchleiden. Im ersten Raum drängten sich die etwa vierzig Zuschauer in klaustrophober Enge. Aus dem Off kommen dazu die Logbuch-Einträge einer eingeschlossenen Schiffscrew, die auf Rettung hofft. Schon nach wenigen Minuten dampft der Raum. Dann der Kontrast, als sich die Tür zum zweiten Raum öffnet. Frostige Kälte erwartet alle. Auch die gleißenden Scheinwerfer durchdringen den kalten Nebel nicht, und so tapst man unbeholfen durch das Nichts. Gekeuchte, gebrochene Stimmfetzen durchdringen den Nebel, dann tauchen zwei dick vermummte, durchfrorene Gestalten darin auf. Mehr als ein langsames Heben des Armes schaffen sie nicht. Mit einem realitätsnahen Einstieg konfrontieren die Choreografin Barbara Fuchs und ihr Team den Zuschauer der Tanz- und Klangperformance „Unter Null“. Damit werden hohe Erwartungen an den Fortgang des Stückes geweckt.
In der Ecke des großen Saales stecken die beiden Tänzerinnen Odile Foehl und Kazue Ikeda wie in einer Gletscherspalte. Überleben auf engstem Raum. Die Bewegungsaktionen scheinen darauf angelegt zu sein, sowohl Momente des Realen zu vermitteln als auch die Stimmungen solcher Momente aufzufangen. In einem Solo krümmt und verdreht Odile Foehl ihre Gliedmaßen, als wolle sie damit in ihren Körper eindringen, um der Kälte zu trotzen. Dann stapfen die Tänzerinnen durch Mehl und setzen weiße Fußstapfen auf den Tanzboden: Spuren im Schnee. Schiffstaue und Seesäcke fliegen aus dem Off auf die Bühne. Gefrorene Kleidungsstücke werden knisternd und knackend ausgebreitet und kalt und steif angezogen. Massen von Styroporkügelchen simulieren eine Schneelandschaft. Textfragmente aus Frank Hurleys „Schicksalsfahrt der Endurance“ werden eingespielt: „Es war ein elender Morgen …“. Auch die Klang- und Geräuschkompositionen von Jörg Ritzenhoff sind darauf angelegt, einen möglichst realitätsnahen musikalischen Rahmen zu setzen. Metallisches Sirren macht Kälte hörbar. Nebelhörner zeigen den Weg. Dumpfe Schläge symbolisieren extreme Momente. Treffend setzt Ritzenhoff seine akustischen Kontrapunkte. Umso verwunderlicher, dass die Inszenierung die Kraft solch inhaltsstarker Bilder gleich wieder selbst in Frage stellt. Spielszenen wie das Einbuddeln im Schnee, Bücherwerfen, oder Videos von Sandkastenspielen mit geöffneten Ölsardinen-Dosen, die Fangschiffe simulieren und mit Mehl = Schnee überhäuft werden und absaufen, werden dem Hintergrund der gescheiterten Polarreise, auf den sich die Choreografin immer wieder bezieht, so gar nicht gerecht. Die Inszenierung verliert sich in diesen Momenten im Spiel „um den dritten Aggregatzustand des Wassers“ (Programm) – und kehrt doch immer wieder zum ernsten Hintergrund zurück. Nachdem die beiden Tänzerinnen in einer der wenigen tänzerischen Phasen des Stücks in wildem Aufbegehren gegen das Schicksal des Kältetodes antanzen, überwältigt sie die Schneewüste. In einem pathetischen Schlussbild treibt eisiger Wind Schnee über die liegenden Körper.
„Unter Null“ | vorerst keine weiteren Termine | www.tanzfuchs.de
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