Schauplätze im Niemandsland der Zivilisation. Ein Maisfeld, Straßenränder und verlassene Parkplätze, das sind die namenlosen Orte, die als Hintergrund für die neue Choreographie „Nature Morte“ von Stefanie Thiersch und ihrer Kompanie Mouvoir dienen. Der Bühnenbildner Martin Rottenkolber hat diese stillen Landschaftsbilder auf eine gut zwölf Meter lange und drei Meter hohe Leinwand in der Orangerie des Volksgartens projiziert. Ein Landschaftsfries, vor dem ein Mann (Valenti Rocamora) und eine Frau (Viviana Escale) tanzen. Der Boden ist mit frischer Erde ausgelegt, deren Geruch bald den ganzen Raum füllt.
Obwohl die Körper zueinander streben, wird aus den beiden doch nie ein Paar. Sie stoßen mit der Brust gegeneinander, geben Schreie (sie) oder dunkle unverständliche Laute (er) von sich. Vor dem Bild der Parkplätze oder Maisfelder begegnet man menschlichen Gestalten, denen etwas Rohes, Archaisches innewohnt. Jean-Luc Godard hat solche Situationen, in denen Verkehrsambiente und Kannibalismus aufeinander treffen, in seinem Film „Weekend“ gezeigt. Auch Claude Faraldo ließ den Urschrei in „Themroc“ erklingen. Stefanie Thiersch bewegt sich auf ähnlichen Pfaden. Es gelingt ihr, im Tableau zu bleiben, ihre Figuren besitzen offenbar kein Bewusstsein von sich, selbst werden keine Personen. Deshalb kann ihr ungeschlachtes Wesen von tief unten aus den Gedärmen der Kreatur ans Licht kommen.
Ihre Choreographie braucht nicht auf prätentiöse Gesten zurückzugreifen, die Aktionen werden authentisch entwickelt. So kristallisiert sich eine eigene Handschrift der Bewegungsabläufe heraus. Ein kleines, feines Stück Tanzkunst wird mit „Nature Morte“ geboten. Eigensinnig, dabei stilsicher und geglückt in der Form. Man darf sich auf weitere Erkundungen im folgenden Teil „Heute nicht“ innerhalb des Veranstaltungszyklus’ der „Happy Living Trilogie“ freuen, die im Frühjahr 2012 fortgesetzt wird.
Mouvoir: Nature Morte (Happy Living Trilogie, Teil II) | 29./30.10., 20 Uhr | Rolandstr. 63, Köln | Karten: 0221/985 45 30 | www.freihandelszone.org
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