Wenn sich am 17. August der Vorhang zur RuhrTriennale 2012 hebt, werden auch Kinder unter den Zuschauern sein. Ungewöhnlich ist das nur deshalb, weil diese Kids mit einer ganz bestimmten Aufgabe noch bei vielen Aufführungen dabei sein werden. Sie sind die Experten einer Festivaljury, die einen ebenso unbestechlichen wie unverdorbenen Blick nicht nur auf die zahlreichen Beiträge zum Thema Kind, Kindheit, Wachstum haben werden. Dahinter steht der Gedanke, dass jeder Mensch – auch ein Kind – in der Lage ist, die Sprache der Kunst zu verstehen. Am Ende der RuhrTriennale werden die kindlichen Experten, die von der kanadischen Performancegruppe Mammalian Diving Reflex unterstützt werden, einen Preis verleihen: The Children‘s Choice Award (30. September).
Kinder stehen auf ganz verschiedene Weise im Mittelpunkt der RuhrTriennale. Sie beobachten, und sie werden beobachtet. Werden Fragen der Kindheit zum Inhalt von Inszenierungen gestellt, dann stehen sie auch selbst auf der Bühne. Bei Boris Charmatz sind sie sowohl handelndes Subjekt als auch passives Objekt (siehe www.trailer-ruhr.de/das-schicksal-der-kinder). In einem Workshop über „Bewegungslosigkeit“ mit Kindern aus dem Ruhrgebiet wird Charmatz dieses Spannungsverhältnis weiter ausloten (24. August). Auch Heiner Goebbels, Intendant der RuhrTriennale, wird in seiner Musiktheater-Inszenierung „When the mountain changed its clothing“ mit den vierzig Mädchen der Carmina Slovenica im Alter von zehn bis 20 Jahren vielen Geschichten und Fragen zum Abschied von der Kindheit nachgehen (26. bis 29. September).
Die RuhrTriennale 2012 lebt von Grenzüberschreitungen dieser und anderer Art. In den zeitgenössischen darstellenden Künsten sind die einzelnen Genres kaum noch voneinander abgrenzbar. Das Schauspiel, das Musiktheater, ja selbst die bildenden Künste haben die choreografierte Bewegung längst übernommen. Umgekehrt hat der zeitgenössische Tanz seit Pina Bausch mit dem Tanztheater ein neues Genre mit Tanz und Sprache geschaffen.
In „Marketplace 76“, einem Theaterstück von Jan Lauwers & Needcompany über einen tragischen Unfall, werden Sprache, Tanz und Gesang ineinander verwoben und die Grenze zwischen Bühne und Publikum aufgehoben (7. bis 15. September). In den „12 Rooms“ im Museum Folkwang in Essen (das erstmals mit der RuhrTriennale kooperiert) gerät der Zuschauer in eine Ausstellung lebender Objekte, wo Raum und Bewegung, Körperskulptur und Formation (siehe Foto) eine neue Kunstform schaffen: Live Art – eine Fortführung der klassischen Performance. Nach Feierabend kann das Kunstwerk nach Hause gehen. Bei den 12 Rooms mit dabei sind renommierte Performancekünstler von Marina Abramović bis Xu Zhen. Wo die Grenzüberschreitung zum Prinzip wird, bedarf es eigentlich keiner Zuordnung zu einem bestimmten Genre. So finden sich in der Programm-Rubrik Theater auch Tanz und Bewegungstheater, in der Rubrik Bildende Kunst die erwähnten lebenden Bewegungskunstwerke und mit der Rubrik No Education wurde gar ein neues Genre eingeführt. Längst haben also choreografische Prinzipien auch in den anderen Kunstgattungen Einzug gehalten. Doch so konsequent wie bei dieser RuhrTriennale ist die Aufhebung der Grenzen zwischen der darstellenden und der bildenden Kunst bei einem Festival noch nie gezeigt worden.
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