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Fabio (Maximilian Befort) und Lukas (Rick Okon) in "Romeos"
Foto: Presse

Kinder, werdet bloß nicht schwul!

08. Dezember 2011

Die FSK trifft eine umstrittene Entscheidung über "Romeos" - Gespräch zum Film 12/11

„Romeos“ – der Titel des Films verrät es schon: hier gibt es keine traditionellen Rollenmuster: von Julia keine Rede. So ganz stimmt das aber nicht, denn die Hauptfigur Lukas ist ursprünglich als Mädchen geboren. Sabine Bernardis in Köln gedrehtes Debüt ist eine Coming-of-Age-Geschichte mit den üblichen Hürden der Identitätsfindung. Die Deutsche Film- und Medienbewertung hat dem Film das Prädikat „wertvoll“ verliehen.

Deshalb wunderte sich die Regisseurin auch, als sie erfuhr, dass die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) den Film ab 16 Jahren freigab, statt – wie beantragt – ab 12 Jahren. Im Vertrauen auf die dem Jugendschutz verpflichtete Organisation reagierte sie erst mal nicht darauf – bis ihr von ihrem Verleih die Urteilsbegründung vorgelegt wird. Dort heißt es, die „Schilderung einer einseitigen Welt von Homosexualität im Film zu einer Desorientierung in der sexuellen Selbstfindung führen“, die „explizite Darstellung von schwulen und lesbischen Jugendlichen und deren häufige Partnerwechsel verwirrend“ auf Jugendliche wirken. Zudem zeige „Romeos“ eine „verzerrte Realität“, die aber für Jugendliche über 16 Jahren „verkraftbar“ wäre. Die Beurteilung des Films stammt nicht etwa aus einer Soft-Porno-Rezension der Filmdienstes in den 1970er Jahren („Wir raten ab“), sondern ist auf der Grundlage der Entscheidung von fünf von 250 ehrenamtlichen Prüfern der FSK verfasst worden. Die Voraussetzung für die Ernennung der Prüfer ist eine Tätigkeit in der Jugendarbeit und entsprechendes Fachwissen in Psychologie oder Medienwissenschaft. Beides scheint hier kaum vorstellbar.

trailer sprach mit der Regisseurin Sabine Bernardi über ihren Film und diesen Fall von Diskriminierung. Sie selbst arbeitet beim Medienprojekt Wuppertal und gibt Filmworkshops für Jugendliche.

trailer: Frau Bernardi, worum geht es in Ihrem Film und haben Sie mit „Romeos“ ein Anliegen?

Sabine Bernardi: Romeos erzählt eine Liebesgeschichte, vielleicht eine ein bisschen ungewöhnliche Liebesgeschichte um den 20jährigen Lukas, der – biologisch zumindest – als Mädchen geboren wurde. gleichzeitig geht es um eine Suche nach Identität und darum, seinen Platz im Leben zu finden. Es ist ein Film über Freundschaft. Der Film soll auch Mut zum Coming-Out machen und die gesellschaftliche Tendenz zum späten Coming-Out aufgrund von Angst vor Diskriminierung aufbrechen. Das Wort "Schwuchtel" oder "schwul" ist ein angesagtes Schimpfwort auf Schulhöfen, Homosexualität an den Schulen ein Alptraum. Von meiner Haltung in der Regie und in der Buchentwicklung war es eine bewusste Entscheidung, „Romeos“ als gutgelaunten Film zu konzipieren und positive Welten zu zeigen. Der Film arbeitet nicht mit Kritik, sondern mit Optionen. Deshalb ist die Entscheidung auch ein Rückschlag für das, wofür der Film steht. Der Film ist für jeden gemacht und auch mainstream-fähig.

Sabine Bernardi
Foto: privat
Die Kölnerin Sabine Bernardi hat an der Internationalen Filmschule (ifs) Regie studiert und 2005 abgeschlossen. Derzeit arbeitet Sie an Ihrem zweiten Spielfilm.


Ab welchem Alter würden Sie selbst Romeos empfehlen?

Ich glaube, dass der Film super geeignet ist gerade für Jugendliche, die sich gerade in der Orientierungsphase und am Anfang ihrer sexuellen Entwicklung befinden. Das ist bei manchen erst mit 14, bei manchen aber durchaus mit 12 oder 13. Das Spielalter ist zwischen 19 und 20 Jahren, wobei sich bei dem Protagonisten Lukas so etwas, wie eine nachgeholte zweite Pubertät abspielt. Deswegen finde ich durchaus, dass man „Romeos“ diesen Jugendlichen zugänglich machen muss. Das würde sehr viel öffnen, auch für Jugendliche, die vielleicht anders sind, als der Mainstream. Ich arbeite auch selbst mit Jugendlichen und beobachte, wie gerade in diesem Alter die Ängste sind mit Homosexualität umzugehen. Mir ist mit dem Film sehr wichtig gewesen, auch andere Rollenbilder und Beziehungskonstellationen anzubieten, die ich positiv belege.

In einer Pressemitteilung vom 7.12. hat sich die FSK für die „diskriminierenden Formulierungen“ in Ihrer Beurteilung entschuldigt und die Begründung der Altersfreigabe neu formuliert...

Die Neuformulierung des Urteils ist viel differenzierter, das heißt aber nicht, dass sich die Haltung dahinter ändert. Da kann man die Frage stellen: Was ist die jetzt wert? Denn im Prinzip ist es nur eine Umformulierung. Für mich ist die Unterteilung der FSK in Freigaben für 12 und 16jährige problematisch. Wenn man sich jetzt entschieden hätte, „Romeos“ ab 12 freizugeben, heißt das ja nicht automatisch, dass jeder 12jährige den Film auch gucken muss. Aber es sollte heißen, dass jeder 12, 13, 14jährige, der den Film gucken will auch die Möglichkeit dazu bekommt, weil er oder sie vielleicht etwas wichtiges darin entdeckt. Und da ist auch diese Neuformulierung des Urteils widersprüchlich, weil sie sich eigentlich wie eine Begründung liest, die durchaus sagen könnte, man macht den Film für jüngere zugänglich.

Das Prüfverfahren besteht aus fünf Prüfern, die zu diesem ersten diskriminierenden Gutachten gekommen sind. Haben Sie mit der FSK Kontakt gehabt? Hat die FSK sich dazu geäußert, wie das zustande gekommen ist?

Nein, ich hatte natürlich die FSK direkt angeschrieben und um eine Stellungnahme gebeten, als ich das Gutachten auf meine Homepage gestellt habe, habe aber eine Woche lang keine Antwort erhalten. Da war ich dann schon sauer. Ich wünsche mir eine öffentliche Diskussion. Das System der Freigabealter ist ja durchaus in Frage zu stellen, da zwischen einem 12jährigen und einem 16jährigen Teenager Welten liegen. Eine Streitkultur ist wahnsinnig wichtig, weil diese Diskriminierung, die uns die FSK in ihrer Begründung gezeigt hat, gesellschaftliche Realität ist. Das machen Jugendliche und Erwachsene ja tagtäglich durch. Insofern kann der Film bestärkend sein und zumindest auch eine Diskussion über die Frage gesellschaftlicher Normalität auslösen und natürlich soll er auch unterhalten.

Die FSK wirft dem Team des Films in der Neuformulierung indirekt vor, keinen Widerspruch eingelegt zu haben. Warum haben Sie darauf verzichtet?

Die Frist haben wir verpasst, da die Begründung durch mehrere Hände ging und sehr spät zu mir kam. Die Form der Begründung hat mich dann dazu veranlasst, die gesamte Entscheidung stark in Frage zu stellen. Der Fall zeigt, dass die Geschlechterrollen, die ich aufzubrechen versucht habe, in dieser Gesellschaft stark verteidigt werden und dass sich Menschen durch Homosexualität auch angegriffen fühlen. Klischeehafte Rollenbilder, die in vielen Mainstream-Filmen verarbeitet werden, die ab sechs oder 12 Jahren freigegeben werden, sind akzeptiert. Ein Beispiel ist „Hangover“ (ab 12), dem wird Sexismus attestiert – Prostitution und Drogen werden in lustiger Weise erzählt. Dadurch werden auch Realitäten geschaffen. Für Jugendliche unter 16 sind solche Welten dann viel geläufiger als Identitätsfindung in ihrem eigenen Alter. Das ist eine gesellschaftliche Verschiebung. Und da liegt auch mein Hauptvorwurf. Dass wesentlich problematischere Filme für jüngere Altersstufen durchkommen, lässt vermuten, da wird mit zweierlei Maß gemessen.

Haben Sie Angst, dass das Urteil ihrem Debütfilm schadet?

Ich glaube nicht, dass die Freigabe „Romeos“ schadet. Es ist mehr als nur ein Urteil, es hat gesellschaftliche Relevanz. Es geht auch um die Jugendarbeit und die Bewertung einer sexuellen Orientierung. Ich habe in meinem Schreiben an die FSK gefordert, dass die beteiligten Prüfer von Ihrer Aufgabe zurücktreten sollten. Es muss sich was ändern. Meiner Meinung nach dürften die teilnehmenden Gremiumsmitglieder, die das im Konsens verantwortet haben, nicht mehr im Rahmen des Jugendschutzes Filme bewerten. Die Ergebnisse sind ja gesetzlich bindend. Oder es sollte einen offenen Austausch geben, dass man merkt, da verändert sich was. Das Schlimme finde ich, dass diese Diskriminierung seitens einer Institution kommt, die sich dem Jugendschutz verschrieben hat.

Nun startet der Film morgen in den deutschen Kinos. Wie ist ihr Gefühl, nachdem er solch eine Debatte ausgelöst hat?

Ich freue mich total auf den Kinostart. Zum einen, weil wir auch schon eine tolle Festivaltour und ausverkaufte Premieren hatten. Zum anderen, weil das Thema des Film eine gesellschaftliche Relevanz hat und wir da von Normalität – das zeigt auch der Fall – weit entfernt sind. Anders als ich das erwartet habe.

Über ihren zweiten Film denkt Sabine Bernardi schon nach, will uns aber nichts Konkreteres verraten. Wir sind gespannt.

Text/Interview: Inga Selck

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