Fast könnte man meinen, er habe sein Publikum ärgern wollen. Allem, was es an der Oper so liebte, erteilte Sergej Prokofjew eine deutliche Abfuhr: kein Pathos, keine Psychologie und kein Realismus. Und doch wurde seine skurrile Märchenoper „Die Liebe zu den drei Orangen“ einer der beliebtesten Klassiker der Moderne. Das Musiktheater im Revier hat den kurzen schwarzhumorigen Vierakter von einem Fernsehmann in Szene setzen lassen.
Elmar Gehlen, Jahrgang 1943, ist als Schauspieler bekannt aus der ZDF-Serie „Küstenwache“, führt bei Fernsehproduktionen auch Regie und versucht sich seit einigen Jahren ebenfalls als Opernregisseur. In Gelsenkirchen inszenierte er 2009 Mozarts Entführung aus dem Serail – farbenfroh und harmlos. Auch heute zeichnet sich Gehlen, der seine Karriere einst als Dekorateur und Bühnenbildner begann, für Regie und Bühne (mit Beata Kornatowska) zugleich verantwortlich.
Wieder ist es eine äußerst farbenfrohe Inszenierung, was gleichwohl vor allem den Kostümen von Martina Feldmann zu verdanken ist. Als Spielfläche präsentiert Gehlen durch alle vier Akte hindurch eine Tribünenkonstruktion mit schmalen Terrassen. Mit ihr lässt sich das zahlreiche Personal gut unterbringen, das vor allem durch den großen Chor vertreten ist. Die Spielmöglichkeiten grenzt es allerdings auch ein, was schwierig ist bei einem Stück, das sich ausgiebig der Stilmittel der spielfreudigen Commedia dell´arte bedient. Die Regie löst das Problem zum Teil, indem sie auch den hinteren Teil der Bühne nutzt und dem Publikum diesen über einen großen, schräg angebrachten Spiegel sichtbar macht. Die Verschiebung der Perspektive bringt einige witzige optische Effekte, akustisch an einigen Stellen auch kleine Einschränkungen.
Dass „Die Liebe zu den drei Orangen“ durchaus Erfolg bei einem breiten Publikum hat, liegt wohl daran, dass Prokofjew letztlich nicht ganz so radikal komponierte, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Vorliebe fürs Pathetische etwa wird zwar nicht direkt bedient, doch über den Umweg der Persiflage und der Anklänge wird das Bedürfnis dennoch ein Stück weit gestillt. Prokofjew schrieb eine ungemeine dichte, pointierte und temporeiche Musik, in der er sich viele harmonische und rhythmische Freiheiten nimmt, dabei aber immer wieder auf melodisch einfaches, volkstümliches Material zurückkommt.
Dirigent Rasmus Baumann und die Neue Philharmonie Westfalen erfüllen die farbenreiche, teils impressionistisch schillernde Partitur durchweg mit Schwung und Leben. Der Funke springt sowohl auf die Solisten als auch auf den bemerkenswert kraftvollen Chor über. Leider sind die widerstreitenden Gruppen innerhalb des Chores – die Anhänger der Komödie, der Tragödie, der Lyrik sowie die Hohlköpfe und die Sonderlinge – optisch nicht unterscheidbar, die Komik geht somit in einheitsgrauer Straßenkleidung verloren.
Komisches Talent beweisen unterdessen vor allen William Saetre als frecher Hofnarr Trufaldino mit schlankem silbrigem Tenor und Lars-Oliver Rühl als Prinz von der traurigen Gestalt, der seiner Heldenpartie einen schönen ironischen Einschlag verleiht. Die junge Sopranistin Alfia Kamalova muss als einzige überlebende Orangen-Prinzessin lange auf ihren Einsatz warten, bestreitet dafür ein glänzendes Finale.
„Die Liebe zu den drei Orangen“ I 13.3., 18 Uhr I MiR, Gelsenkirchen
0209 409 72 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Besiegt Vernunft die Leidenschaft?
„Orlando“ an der Oper Köln – Oper in NRW 11/24
Unerwartet Kaiserin
„Der Kreidekreis“ in Düsseldorf – Oper in NRW 11/24
Horror und Burleske
Die Spielzeit 24/25 am Gelsenkirchener MiR – Oper in NRW 07/24
Opern-Vielfalt am Rhein
„Nabucco“ eröffnet in Düsseldorf die Spielzeit 2024/25 – Oper in NRW 06/24
„Kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit“
Kapellmeister Hermes Helfricht über Werner Egks „Columbus“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 06/24
Welt ohne Liebe
„Lady Macbeth von Mzensk“ am Theater Hagen – Oper in NRW 05/24
Die Gefahren der Liebe
„Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln – Oper in NRW 05/24
Absurde Südfrucht-Fabel
„Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 04/24
Grund des Vergessens: Rassismus
Oper von Joseph Bologne am Aalto-Theater Essen – Oper in NRW 03/24
Verpasstes Glück
„Eugen Onegin“ in Bonn und Düsseldorf – Oper in NRW 02/24
Täuschung und Wirklichkeit
Ein märchenhafter Opern-Doppelabend in Gelsenkirchen – Oper in NRW 02/24
Unterschätzte Komponistin?
„Der schwarze Berg“ an der Oper Dortmund – Oper in NRW 01/24
Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24
Der unfassbare Gott
Oper Bonn zeigt Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ – Oper in NRW 12/23
Unheimlich ungelebte Geschichte
„Septembersonate“ an der Rheinoper Düsseldorf – Oper in NRW 11/23
Ein Schluck auf die Liebe
„Der Liebestrank“ an der Oper Köln – Oper in NRW 11/23
Fluch der tragischen Rache
„Rigoletto“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 10/23
Lynchmord in New Orleans
Uraufführung von „The Strangers“ an der Oper Köln – Oper in NRW 09/23
Radikaler Minimalismus
„Parsifal“ in Düsseldorf – Oper in NRW 09/23
Komplexer Märchenstoff
„Die Frau ohne Schatten“ in der Oper Köln – Oper in NRW 08/23
Hexen, Blut und Wahnsinn
„Macbeth“ am Aalto-Theater in Essen – Oper in NRW 08/23
Fiasko in forschem Ton
„König für einen Tag“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 07/23
Schlüsselwerke der Moderne
Opern-Spielzeit 23/24 in Bonn und Köln – Oper in NRW 06/23
Bestechende Vielfalt
Opern-Spielzeit 23/24 an Rhein und Ruhr – Oper in NRW 06/23
Kampf durch Klang
„Der singende Teufel“ ungekürzt an der Oper Bonn – Oper in NRW 05/23