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Franziska Humbert
Foto: privat

„Ein Paradigmenwechsel“

30. Juni 2021

Juristin Franziska Humbert über das neue Lieferkettengesetz – Interview Pro

trailer: Frau Humbert, Oxfam betreibt seit einigen Jahren Kampagnen, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte in Unternehmen einsetzen. Welche schwerwiegenden Verstöße sind Ihnen bei dieser Arbeit immer wieder begegnet?

Franziska Humbert: Wir von Oxfam haben vor allem den Lebensmitteleinzelhandel im Blick. Das betrifft vor allem tropische Früchte wie Ananas, Mango, Bananen, Weintrauben, aber auch Tee und Kaffee, was ja auch weitestgehend bekannt ist. Wir stoßen dabei immer wieder darauf, dass Menschen systematisch ausgebeutet werden: Gewerkschaftsrechte werden systematisch unterdrückt, Frauen berichten von sexueller Belästigung und neben finanzieller Ausbeutung durch eine Bezahlung weit unter dem Niedriglohn sowie Überstunden sind uns vor allem immer wieder Verstöße gegen den Arbeitsschutz begegnet. In dem Bereich betrifft das vor allem den Einsatz hochgiftiger Pestizide, gegen die die Menschen, die dort arbeiten, nicht richtig geschützt werden. So kommen gesundheitliche Schäden wie Kopfschmerzen, erhöhte Krebsraten, aber auch Mißbildungen bei Kindern oder auch eine erhöhte Anzahl von Fehlgeburten. Diese Dinge begegnen uns aber durchaus auch in Deutschland, Spanien oder Italien. Man sieht also, das es sich um ein strukturelles Problem handelt, das sich auch in der Bergbauindustrie, der Textilindustrie oder auch beim Mobilfunk findet.

Wenn so giftige Pestizide eingesetzt werden, wie schaffen es diese Lebensmittel dann durch die europäischen Kontrollen?

Das ist ja gerade einer unserer ganz großen Kritikpunkte: Die Produkte werden später genau geprüft und es wird sehr darauf geachtet, dass diese keine Schadstoffe enthalten. Beim Spritzen selbst werden die Früchte geschützt, die Arbeiter hingegen nicht, was wir sehr kritisieren. Die Umstände, unter denen die Früchte heranreifen, werden ignoriert.

Die Unternehmen handeln nur unter Druck“

Es gab ja bereits vor dem Gesetz eine freiwillige Selbstverpflichtung. Welche Unternehmen haben denn damals schon mitgezogen, als dies nicht im Gesetz verankert war?

Grundsätzlich muss man eigentlich sagen, dass die Unternehmen eigentlich nur unter Druck handeln. Es gab beispielsweise in den 90er Jahren eine Studie zur Kinderarbeit bei der Herstellung von Fußbällen von Nike, Adidas und Puma. Daraufhin haben diese Unternehmen gehandelt und gehörten somit zu den Vorreitern. Hinsichtlich der Lebensmittelindustrie hat Oxfam vor einigen Jahren einen Supermarktcheck gemacht. Hier wurden die vier großen deutschen Supermarktketten hinsichtlich der Achtung der Menschenrechte verglichen. Der Druck entstand hier also durch den Vergleich mit der Konkurrenz. Lidl und Aldi gehörten hier zu den ersten, die sich dann auf den Weg gemacht haben. Grundsätzlich kann man sagen, dass sich auch bei den Konsumgütern und den technischen Unternehmen immer mehr damit auseinandergesetzt haben, aber dies geschieht in der Regel nicht ohne den Druck von außen.

Welche Argumente gab und gibt es gegen das Lieferkettengesetz?

Die häufigsten Argumente sind, dass es Aufgabe der Staaten sei, die Wahrung der Menschenrechte in den ansässigen Unternehmen zu kontrollieren. Andere Argumente sind, dass es unüberschaubar sei und schlicht nicht umsetzbar. Diese Argumente können aber eigentlich recht leicht entkräftet werden: Aufgrund der UN-Leitlinien ist klar, dass die einzelnen Unternehmen sehr wohl eine Verantwortung haben, mit wem sie zusammenarbeiten und ob diese Partner in ihren Unternehmen die Menschenrechte achten. Genau genommen ist es nicht selten auch so, dass die Unternehmen eigentlich viel mehr Macht haben, diese Durchsetzung zu erzwingen als die Staaten. Um einen Rückzug der Unternehmen aus den entsprechenden Ländern muss man sich gerade hinsichtlich der Lebensmittelindustrie auch keine Sorgen machen, denn die Früchte wachsen nur dort. Das Lieferkettengesetz ist also für die Unternehmen durchaus umsetzbar und auch das befürchtete Haftungsrisiko fällt dann doch geringer aus als gedacht, denn dieses zieht nur, wenn man gar nichts tut. Es gibt so viele Hilfestellungen und Leitfäden, dass es wirklich machbar ist. Unser Supermarktcheck hat am Ende auch gezeigt: Supermarktketten können Menschenrechte. Und inzwischen ist die Frage nach den Menschenrechten eine, um die man moralisch gesehen nicht herumkommt.

Welche Auswirkungen hat das Lieferkettengesetz auf die Konsumenten? Ist mit Preiserhöhungen zu rechnen?

Im Augenblick sind die Gewinne innerhalb der Lieferkette sehr ungleich verteilt. Also hier ist schon eine größere Gerechtigkeit machbar, die sich finanziell gar nicht auf die Konsumenten auswirkt. Das wäre also ein Ausgleich innerhalb der Kette. Außerdem ist das Gesetz für die Unternehmen nicht so schwerwiegend, weil es ja für alle Unternehmen gilt und somit für alle gleich ist. Der Mehraufwand, den die Unternehmen dadurch haben, ist eigentlich überschaubar, da man sich ja immer damit auseinandersetzen sollte, mit wem man kooperiert. Falls es also trotz all dieser Überlegungen zu einer Preiserhöhung kommen sollte, dürfte diese nur sehr gering sein.

Ein großer Erfolg – aber dennoch eine Minimallösung“

Am 12. Juni wurde nun das Lieferkettengesetz verabschiedet. Was bringt es und an welchen Stellen würden Sie sagen, dass es noch nachgebessert werden müsste?

Insgesamt sind wir eigentlich sehr froh, weil dieses Gesetz einen Paradigmenwechsel einleitet. Es ist ein großer politischer und gesellschaftlicher Erfolg für die Menschenrechte – aber dennoch eine Minimallösung. Das beginnt damit, dass nur vergleichsweise wenige Unternehmen betroffen sind. Hinzu kommt, dass der Anwendungsbereich sehr klein ist, weil die Unternehmen nur verpflichtet sind, den jeweils ersten Zulieferer in ihrer Kette zu beobachten. Die weiteren Zulieferer müssen nur dann kontrolliert werden, wenn eine substantiierte Erkenntnis vorliegt. Das bedeutet beispielsweise, wenn wir seitens Oxfam eine Studie vorlegen, die Menschenrechtsverstöße bei einem Unterunternehmen belegt. Nur dann muss gehandelt werden. Durch diese Regelung fällt das Gesetz zurück hinter die UN-Leitlinien, was wir natürlich sehr kritisch sehen. Ein weiterer großer Streitpunkt ist der explizite Ausschluss der zivilrechtlichen Haftung. Da werden aber die aktuell laufenden Klagen zeigen, ob sich hier nicht noch ein Schlupfloch finden lässt. Trotz dieser Kritikpunkte feiern wir das Gesetz aber als großen Erfolg. Nun ist der Verwaltungsweg offen und die Behörden haben endlich die Möglichkeit, Sanktionen in Höhe von bis zu 0,2 Prozent des Jahresumsatzes zu verhängen. Und bei Milliarden-Unternehmen ist das ja auch nicht gerade wenig.


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Interview: Verena Düren

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