Die 1983 in Luxemburg geborene Vicky Krieps fasste nach ersten Rollen am Schauspielhaus Zürich schnell in der Film- und Fernsehbranche Fuß. Man sah sie in deutschen Arthouse-Hits wie „Wer wenn nicht wir“, „Zwei Leben“ oder „Die Vermessung der Welt“, aber auch schon seit 2011 in Hollywood-Produktionen wie „Wer ist Hanna?“ als Mutter von Saoirse Ronan, in Roland Emmerichs „Anonymus“ oder neben Philip Seymour Hoffman in „A Most Wanted Man“. Außerdem spielte sie u.a. die Titelrolle in „Das Zimmermädchen Lynn“. Ihr neuer Film „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“, in dem sie neben Emma Watson und Daniel Brühl spielt, ist ab dem 18. Februar in den Kinos zu sehen.
trailer: Frau Krieps, die Ereignisse im Film passierten noch vor Ihrer Geburt. Wussten Sie über die Colonia Dignidad im Vorfeld viel?
Vicky Krieps: Nein, ich wusste darüber so gut wie gar nichts. Ich weiß, dass die Ereignisse mal durch die Medien gingen, es gab da diese große Reportage im „Spiegel“, aber ich selbst habe davon als Kind oder Jugendliche gar nichts mitbekommen. Vielleicht lag das auch daran, dass ich in Luxemburg aufgewachsen bin.
Ihre Rolle der Ursel ist in der Sekte geboren und aufgewachsen. War es deswegen für Sie besonders schwierig, sich in diese Figur einzudenken?
Ja, das war für mich auch die Herausforderung an der Rolle. Sie ist jemand, die ihr Leben lang innerhalb der Sekte verbracht hat. Sie hat nie etwas anderes gekannt und sich trotzdem eine Aufmerksamkeit bewahrt, vielleicht auch, weil sie schon immer dort gelebt hat. Im Film wird nicht aufgelöst, warum sie wacher ist als die anderen, aber sie scheint nicht so sehr im Bann zu stehen wie die Menschen um sie herum. Das fand ich sehr spannend an der Figur, deswegen wollte ich sie auch spielen. Das war aber nicht einfach, und ich habe auch zum ersten Mal kein Gespür dafür gehabt, wie mein Schauspiel am Ende von außen wirken wird. Ich habe die Rolle, recht intuitiv, von innen heraus gelebt, weil es unmöglich ist, sich vorzustellen, wie so jemand eigentlich ist. Erst beim Synchronisieren merkte ich, was ich da eigentlich gespielt habe. Der Film ist sehr gut geworden, aber er ist auch schwer auszuhalten, weil einiges ganz schrecklich und gruselig ist. Denn Ursel ist sehr berechnend und böse, aber dahinter steckt auch ihre große Verzweiflung.
Die echte Colonia Dignidad leugnet nach wie vor jede Verbindung mit dem Pinochet-Regime, weswegen der Film auch aufklärerischen Charakter hat...
Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, das war auch das Hauptanliegen des Regisseurs, diese Geschichte zu erzählen. Allein für die vielen Menschen, die dort gelitten haben – die haben ein Recht darauf, dass ihre Geschichte erzählt wird. Auch Ursel hat ein reales Vorbild, sie ist eine Reminiszenz an eine Frau namens Ursula, die auf der Flucht erschossen wurde. Eine ganz tragische Geschichte, von der alle sehr ergriffen berichten, die sie kannten.
Regisseur Florian Gallenberger hat sich im Vorfeld sehr intensiv mit der Materie beschäftigt. Ich vermute, dass sein Enthusiasmus auf den Rest der Crew übergesprungen ist...
Ich glaube schon, dass die meisten Leute den Film tatsächlich deswegen gemacht haben. Man hatte das Gefühl, man müsste helfen, diese Geschichte zu erzählen.
Teile des Films wurden in Ihrem Geburtsland Luxemburg gedreht. Wie stark sind Sie dort noch verwurzelt?
Das ist in erster Linie eine familiäre Bindung. Ich bin nicht mehr so häufig in Luxemburg, und jetzt ist es mir zum ersten Mal passiert, dass man mich auf der Straße erkannt hat. Meine Erinnerungen an Luxemburg sind die eines 18jährigen Mädchens. Und nun komme ich wieder, und die Leute erkennen mich und fragen mich, wann ich in Luxemburg mal Theater spielen werde. Eigentlich ist das eine ganz gute Idee, über die ich bislang noch nicht nachgedacht hatte, aber irgendwie würde mich das schon reizen.
Sie haben schon sehr schnell nicht gerade kleine Rollen in internationalen Produktionen wie „Wer ist Hanna?“ gespielt. Was war Ihrer Meinung nach die Initialzündung für diese rasante Karriere?
Zum einen wurde ich vom Theater enttäuscht, sonst wäre ich wahrscheinlich, wie sehr viele andere, in ein Festengagement gegangen. Aber die alten Strukturen, die klaren Hierarchien, die es damals am Theater gab, waren absolut nicht mein Ding. Dann bin ich dazu übergegangen, Stücke zu inszenieren, eines davon in Berlin. Das war der Grund für mich, nach Berlin zu gehen. Die Initialzündung meiner Karriere ist meiner Meinung nach dann Simone Bär gewesen, die bekannte Besetzungsleiterin, die auf mich aufmerksam wurde. Hätte es nicht diesen Blick von außen auf mich gegeben, der mich in meinem Tun bestärkt hat, dann hätte ich von mir aus nie den Mut gehabt, Filmschauspielerin sein zu wollen. Simone Bär hat mich gesehen und erkannt, was ich sein könnte, bevor ich selbst etwas in mir gesehen habe. Dann kam das eine zum anderen. Ich versuche immer, ehrlich zu sein, meine eigene Meinung und meine eigenen Prinzipien zu haben, ohne dabei einzubrechen. Das hat viel ausgemacht im Hinblick auf das, was ich gemacht habe. Ich wusste immer sehr genau, was ich will und was ich nicht will. Ich bin das Risiko eingegangen, immer das zu machen, was ich wollte.
Welche von Ihren zahlreichen internationalen Begegnungen der letzten Jahre hat Sie denn am meisten beeindruckt?
Philip Seymour Hoffman bei „A Most Wanted Man“ hat mich schon sehr beeindruckt, dadurch wie er gearbeitet hat. Denn er hat nicht wirklich viel gemacht, er war immer sehr zurückhaltend und ruhig. Als er die letzte Szene des Films spielte, war es so ruhig am Set, dass man eine Nadel hätte fallen hören, ganz anders als an allen anderen Tagen. Aber so sehr hat Hoffman damals die Spannung gehalten und die Geschichte in diesem Moment getragen. Als ich später den Film sah, bin ich in dieser Szene fast vom Stuhl gefallen, weil ich merkte, dass der Film von seiner Figur aus auf dieses Ende zielt. Da wurde mir klar, dass er das schon immer wusste und das deswegen genau so geplant und gespielt hat.
Sie drehen auf Deutsch, Englisch, Französisch – fällt ihnen davon etwas am leichtesten oder ist das für Sie alles gleichbedeutend?
Es ist tatsächlich gleichbedeutend für mich. Sprache interessiert mich nicht so. Wenn man „Das Zimmermädchen Lynn“ gesehen hat, erkennt man, dass mein Interesse meist außerhalb des gesprochenen Wortes liegt. Deswegen ist mir dann auch die Sprache egal. Mir geht es darum, Gefühle zu vermitteln. Vielleicht liegt mein leichter Umgang mit verschiedenen Sprachen an meiner mehrsprachigen Erziehung in Luxemburg. Vielleicht aber auch in meinem Vertrauen darauf, dass sich das, was ich sagen will, schon vermitteln wird, egal in welcher Sprache.
Trotzdem legen Sie aber Wert darauf, sich in den verschiedenen Länderauswertungen Ihrer Filme in den jeweiligen Sprachen selbst zu synchronisieren...
Ja (lacht). Ich mache das immer, sofern es zeitlich klappt. Aber die Verantwortlichen möchten das auch, weil sie wissen, dass es dem Film zuträglich ist, wenn das Synchronisieren vom selben Mensch mit derselben Stimme gemacht wird.
Demnächst wird man Sie an der Seite von August Diehl als die junge Frau von Karl Marx sehen. Können Sie schon etwas über dieses Projekt verraten?
Das wird ganz toll! Man weiß so wenig über diese frühe Phase im Leben von Karl Marx und über die Entstehung seiner Ideen, deswegen wurde dieser Film gedreht. Der Regisseur Raoul Peck möchte, dass auch junge Leute eine Idee davon bekommen, wo Marx’ Grundideen hergekommen sind – dass es nicht richtig sein kann, dass viele Menschen leiden, damit ein Mensch viel Geld hat. Wir sind heutzutage an den Gedanken gewöhnt, aber auch diese Idee musste erst einmal entstehen. Marx hat sein ganzes Leben damit zugebracht, aufzuschreiben, was an einer Gesellschaft nicht stimmt, in der es Leibeigene und jede Menge unterdrückter Menschen gibt. Und das ist ja auch gerade heute wieder aktueller denn je!
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