Montag, 25. September: Nach der NRW-Premiere im Kölner Cinenova am 24. September war die österreichische Regisseurin Barbara Albert („Die Lebenden“) tags darauf schon im Casablanca-Kino in Bochum zu Gast, wo sie ihren neuesten Film, die Julia-Franck-Bestsellerverfilmung „Die Mittagsfrau“, abermals persönlich vorstellte und für die Fragen des Publikums zur Verfügung stand. Moderiert wurde der Abend, der zusammen mit den weiteren Previews in Dortmund, Essen und Oberhausen von trailer Ruhr präsentiert wird, von den LeiterInnen von „blicke – Filmfestival des Ruhrgebiets“, Katharina Schröder und Felix Hasebrink. Zur Entstehungsgeschichte der Verfilmung erzählte die Regisseurin nach der Filmprojektion, dass die erste Idee dazu bereits im Jahr 2014 aufkam, als ihr „Die Mittagsfrau“ von ihrer Drehbuchautorin Meike Hauck als sehr visueller Roman ans Herz gelegt wurde. „Ich war aber auch von der zentralen Frauenfigur sehr fasziniert, denn sie spürt ihre eigenen Gefühle nicht mehr, nachdem sie den Verlust ihrer ersten großen Liebe ertragen musste, ohne die Möglichkeit der Trauer zu bekommen“, so Barbara Albert in Bochum. Nun galt es nur noch, den langen Prozess der Finanzierung der Verfilmung zu stemmen.
Die Rolle der Frauen
Für Barbara Albert sind die Themen von „Die Mittagsfrau“ zeitlos. „Sexualität, Geburt, Mutterschaft, aber leider auch sexuelle Gewalt haben die Geschichte der Frau schon immer geprägt“, führte die Filmemacherin am Abend weiter aus. Gleichwohl seien diese Themen in den letzten zehn Jahren verstärkt behandelt worden, vermutlich auch deswegen, weil wir „heute wieder in restriktiveren Zeiten leben“, so die Regisseurin. Im Publikum kam die Frage auf, warum sie den Film ihren beiden Großmüttern gewidmet habe. Daraufhin erläuterte Albert, dass gerade diese Generation bislang weitgehend stumm geblieben sei. Auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit seien sie weitgehend zurückgedrängt und nicht nach ihrer Meinung gefragt worden. So hätten sich viele von ihnen auf das rein Private zurückgezogen und sich fast ausschließlich um ihre Familien gekümmert. Dieses restriktive Zurückziehen stünde nach Alberts Meinung in großem Gegensatz zur Aufgeschlossenheit und den feministischen Freiheiten, die die 1920er Jahre ausgemacht hätten. Gerade, weil diese Frauengeneration jene ausschweifenden Zeiten auch noch persönlich erlebt hatte und weil etwas Vergleichbares heute nicht noch einmal passieren dürfe, müsse man diesen Frauen nun endlich auch einmal eine Stimme geben. Einer der größten Unterschiede zur Romanvorlage liege deswegen auch darin, dass die Perspektive des verlassenen Sohnes im Film ausgeklammert worden wäre. Dies sei nach langen Diskussionen mit der Romanautorin Julia Franck entschieden worden, weil es Barbara Albert wichtig war, ihre Adaption mit der Möglichkeit einer Hoffnung zu beschließen, bei der sich Mutter und Sohn auf Augenhöhe begegnen und sich miteinander auseinandersetzen können.
Stilistisch unterschiedliche Lebensphasen
Beim Filmgespräch wurden auch die unterschiedlichen Filmformate angesprochen, die Barbara Albert zusammen mit ihrem Chefkameramann Filip Zumbrunn für den Look des Films ausgewählt hatte. „Im Vorfeld wollten wir für jede Phase in Helenes Leben ein eigenes Filmformat wählen. Weil ich mich beispielsweise an meine eigene Kindheit in erster Linie durch die Super-8-Aufnahmen erinnere, die damals von mir gedreht wurden, habe ich Super-8 auch für die Szenen aus Helenes Kindheit gewählt“, erklärte die Filmemacherin. In den in Stettin spielenden Szenen sollte dann die Enge spürbar gemacht werden, in der sich die Protagonistin befindet. „Deswegen haben wir hier die Steadicam benutzt, um die Figuren regelrecht in die Frames einzusperren“, fügte Barbara Albert hinzu. Genauso viel Detailarbeit floss auch in die Gestaltung des Soundtracks ein. „Black is the Color of My True Love’s Hair“ in der Interpretation von Nina Simone sei einer von Barbara Alberts Lieblingssongs. Für den Film wurde er abgewandelt, indem man ihm einen jiddischen Text verpasste. Damit wollte die Regisseurin einer in den 1920er Jahren wichtigen jungen Bewegung aus Russland Rechnung tragen, die Jiddisch in der deutschen Subkultur gesellschaftsfähig gemacht habe. Dieses Lied stehe nun am Ende geradezu symbolisch für die ganze jüdische Kultur, die Schwesternliebe, aber auch die zerstörte Familie, in der der viel zu jung gestorbene Karl für immer schön bleiben werde. „Die Mittagsfrau“ startet offiziell am 28. September in den Kinos.
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