Es ist nicht das erste Mal, dass sich auf Hagens Opernbühne die Hauptperson in einer US-amerikanischen Todeszelle wiederfindet. Mit Jake Heggies Opernversion von „Dead Man Walking“, einem Kinoerfolg aus den 90ern, hatte Hagens Intendant Norbert Hilchenbach im Herbst 2007 seine Amtszeit begonnen. Dabei etablierte er zugleich eine lose Reihe amerikanischer Opern an seinem Haus. Nun ist es eine Frau, über die das Todesurteil gesprochen wird: Selma Ježková. Auch diese Figur verdankt ihre Bekanntheit einem Film. Im Jahr 2000 drehte Lars von Trier „Dancer in the Dark“, ein Werk von 140 Minuten Länge mit der isländischen Sängerin Björk in der Hauptrolle. Der dänische Komponist Poul Ruders nahm ihn zur Grundlage einer Opernversion, die mit gerade einmal 70 Minuten in einem einzigen Akt auskommt. 2010 war die Uraufführung in Kopenhagen, nun ist „Selma Ježková – Dancer in the Dark“ in einer Inszenierung von Gregor Horres erstmals in Deutschland zu sehen.
Ruders schuf mit seiner Oper ein emotionales Konzentrat der Filmhandlung. Seinen Librettisten Henrik Engelbrecht ließ er eng am Originalskript von Triers entlangarbeiten, verzichtete aber konsequent auf sämtliche Nebenstränge der Handlung. Es bleibt die Geschichte der tschechischen Immigrantin Selma, die in einer Fabrik arbeitet, um genug Geld für die Operation ihres Sohnes zu verdienen, dem wegen einer Erbkrankheit die Erblindung droht. Auch Selma verliert immer mehr ihr Augenlicht. Als ihr Vermieter ihr die Ersparnisse stehlen will, erschießt sie ihn und wird dafür zum Tode verurteilt. Selma ist ihrem Schicksal wehrlos ausgeliefert.
Es ist nicht einfach, innerhalb von 70 Minuten Identifikation und Nähe zur Protagonistin zu schaffen. Regisseur Horres lässt in den Schlüsselszenen Nahaufnahmen von ihrem Gesicht auf den Bühnenhintergrund projizieren. Das Ergebnis ist zweischneidig, denn Dagmar Hesse, die die Selma mit Tiefe und Dramatik singt, wandelt mit großer Hornbrille, die ihre Augen stark vergrößern, auf einem schmalen Grat zur Karikatur. Ansonsten bleibt die Bühnenhandlung stark eingeschränkt. Ausstatter Jan Bammes stellt einen teilbaren, halb offenen und geneigten Ring auf die schwarze, leere Bühne. Darin und darauf agieren die fünf Haupt- und fünf Nebendarsteller, transportieren die Handlung allerdings überwiegend über die – englischen, deutsch übertitelten – Texte.
Ruders Tonsprache ist deutlich tonal fundamentiert, zuweilen beinahe minimalistisch zurückgenommen – und somit auch für weniger erfahrene Hörer Neuer Musik gut zugänglich. Allerdings würzt der Komponist seine harmonischen Geflechte von Anfang an mit starken, spannungsreichen Dissonanzen. Das tragische Ende der Selma schwingt von Beginn an mit. Dirigent David Marlow entlockt dem 33köpfigen, eher ungewöhnlich besetzten Orchester, eine erstaunlich wirkmächtige Klanggewalt. Neben Dagmar Hesse glänzt unter den Sängern vor allen Bernd Könnes als stimmlich kerniger, selbstgefälliger Staatsanwalt.
„Selma Ježková“ I 10.5. 19.30 Uhr I Theater Hagen I 02331 207 32 18
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