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Regisseur Semih Kaplanoğlu
Heimatfilm

Plädoyer für das Flüstern

11. März 2011

Semih Kaplanoğlu über "Bal - Honig" - Gespräch zum Film 09/10

Semih Kaplanoğlu, Jahrgang 1963, studierte Film in Izmir. Seit 1984 arbeitete er als Kameraassistent, Autor und Regisseur für das Fernsehen. Sein Kinodebüt gab er 2000 mit „Away from Home“. 2007 bis 2010 drehte er die „Yusuf“-Trilogie, deren Abschluss „Bal“ bildet.

trailer: Herr Kaplanoğlu, die Szenarien der Filme haben einen archaischen Grundton, während in den Details die Gegenwart durchscheint ...
Semih Kaplanoğlu:
Ich will die Vergänglichkeit der Dinge der Gegenwart, in der wir leben, zeigen und die Konstanten des menschlichen Lebens, beziehungsweise der kosmischen Ordnung betonen. Die zeitübergreifenden Konstanten werden für mich immer wichtiger, und ich glaube, dass meine Filme auch ein Versuch sind, der sich verändernden Jetztzeit zum Trotz Dinge anzusprechen – Dinge, die man als spirituell bezeichnen könnte. Ich mache das nicht zuletzt deswegen, weil mich die Geschwindigkeit und Gewalttätigkeit der Gegenwart sehr tief verwunden.

Ihr Film setzt einen Kontrapunkt zu dieser schnellen Wirklichkeit. Die langen, ruhigen Einstellungen fordern die Geduld des Zuschauers, haben aber auch kontemplative Qualitäten. Wie entscheiden Sie über Beginn und Ende eine Einstellung, wie entsteht der Rhythmus der Filme?
Man kann sagen, es gibt die uns umgebende Alltagsrealität, und es gibt die eigentliche „Wirklichkeit“, die einen eigenen Rhythmus hat und einen eigenen Zeitfluss, den ich in meinen Filmen fühlbar machen will, um das Gefühl der Verbundenheit mit allem Existierenden in den Vordergrund zu rücken. Einstellungen wechsele ich nur, wenn ich einen Orts- oder Zeitwechsel habe. Die Länge der Einstellungen hat damit zu tun, dass in der Gegend, aus der ich komme, eine eigene Zeitwahrnehmung herrscht, die mit dem modernen Leben in der Türkei wenig zu tun hat. Ich habe ein Gefühl der Verantwortung gegenüber den Menschen, um die es in dem Film geht. Ich möchte die Zeit in den Filmen nicht zerstückeln, mich nicht von der Wirklichkeit entfernen, sondern die Erfahrung der Protagonisten mit den Zuschauern teilen. Man könnte das einen „kosmischen Realismus“ nennen (lacht).

Wenn Yusuf mit seinem Vater flüstert, stottert er nicht. Ihre Filme scheinen ebenfalls zu flüstern. Wie würden Sie diesen Flüster-Gestus des Films erklären?
Das ist ein sehr schöner Kommentar ... Ich glaube, dass wir immer weniger Wissen über das Leben von unseren Ahnen übermittelt bekommen, und dass sich damit nicht nur die Menge des alten, traditionellen Wissens verringert, sondern des Wissens insgesamt. Ich selbst hatte als Kind auch diese Leseschwäche und konnte nur flüsternd flüssig lesen. Das lag auch an der Lernmethode in der Schule, und ich glaube, dass es einen sehr großen Gegensatz gibt zwischen dem Wissen, das in der Schule lautstark und polternd vorgestellt wird, und dem Wissen, das sich begründet auf dem eigenen Sehen, Beobachten und Ausprobieren, das fast wie ein Geheimnis von Generation zu Generation weitergegeben wird. Insofern ist der Film ein Plädoyer für das Flüstern – vielleicht hat er auch etwas von einem Kindergebet.

Die Natur und vor allem Tiere spielen eine große symbolische Rolle in Ihren Filmen ...
Ich bin nicht so sehr für Symbolismus zu haben. Der Symbolismus ist ein Zeichen für die Entfernung von der Natur. Natürlich gibt es in jeder Kultur diese Tiersymbolik, mir ging es aber mehr um die wirklichen Rollen der Tiere in den Leben der Protagonisten.

Spüren Sie, dass die internationalen, vielfach ausgezeichneten Erfolge von Ihnen und Nuri Bilge Ceylan zu der Entwicklung einer größeren türkischen Arthouse-Szene führen?
Ganz sicher, und zwar auf mehreren Ebenen. Es hat einerseits dazu geführt, dass unter jungen Regisseuren die Reflexion darüber entstanden ist, wie man ein anderes, eigenständiges Kino machen kann, das sich zugleich stärker aus der eigenen Kultur speist. Andererseits muss man sagen, dass das Interesse am Arthouse in der Türkei durch unsere Erfolge im Ausland sehr gestiegen ist. In der Türkei galten wir zuvor eher als Sonderlinge. Der Status hat sich nun geändert und auch die Wahrnehmung auf uns.

INTERVIEW: CHRISTIAN MEYER

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