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Unterwegs in Europa: Mala Emde als Jule in Hans Weingartners „303“.
Presse

„Sie schert sich nicht darum, ob man sie mag oder nicht“

28. Juni 2018

Mala Emde über „303“ – Roter Teppich 07/18

1996 ist Mala Emde in Frankfurt am Main zur Welt gekommen und stand schon als Kind auf der Theaterbühne und vor der Kamera. Nach ersten Serienrollen in „Heldt“ oder „SOKO Köln“ folgte 2015 die Titelrolle in „Meine Tochter Anne Frank“, für die sie mit dem Nachwuchsförderpreis des Bayerischen Fernsehpreises ausgezeichnet wurde. Nach der Titelrolle im Kinofilm „Wir töten Stella“ hat Mala Emde unter der Regie von Hans Weingartner neben Anton Spieker nun die Hauptrolle im Road Movie „303“ gespielt, das am 19. Juli in den Kinos startet.

trailer: Frau Emde, kann man die Jule als Ihre erste reife Rolle bezeichnen – immerhin soll die Figur fünf Jahre älter sein, als Sie zum Zeitpunkt der Dreharbeiten waren?

Mala Emde: Ja, das stimmt. Ich habe vorher immer nur Mädchen gespielt, die sich in der Umbruchphase vom Kind zur Frau befanden, damit aber eher überfordert waren. Das waren wilde, rebellische Figuren. Jule ist die erste, die das schon hinter sich hat, und die jetzt durch diese Entscheidung, wer sie sein will, Konsequenzen zieht. Sie stellt sich, so wie sie ist, zur Disposition und schert sich nicht mehr darum, ob man sie mag oder nicht.

Als Anne Frank oder mit der Titelrolle in „Wir töten Stella“ haben Sie bereits Hauptrollen gespielt, aber hier mussten Sie nun gemeinsam mit Anton Spieker den kompletten Film auf Ihren Schultern tragen...

Ich habe da im ersten Moment gar nicht daran gedacht. Ich fand es toll, wie Hans Weingartner (der Autor und Regisseur; die Red.) die beiden als Menschen charakterisierte, über die er seine Geschichte erzählen wollte. Und mit ihnen über die ganze Welt erzählen, denn die beiden reden ja über die ganze Welt (lacht). Was braucht man, um Drama zu erzählen? Man braucht zwei Figuren, einen Konflikt, den die beiden tragen, und dann brauchen wir noch einen Ort. Der Ort verändert sich hier, und dadurch verändern sich auch die Menschen und die Zeit. Mehr braucht man nicht für eine fiktive Geschichte, und das fand ich sehr schön.

Die Dialoge sind unglaublich tiefgründig und gehaltvoll, wirken aber trotzdem sehr natürlich. Wurde da viel improvisiert oder standen die alle schon so geschliffen im Drehbuch?

Beides. Die Dialoge, die wir in den langen, zehnminütigen Sequenzen ohne Schnitt sprechen, waren tatsächlich exakt so von Hans Weingartner geschrieben. Dann hatten Anton Spieker und ich zusammen mit Hans ungefähr vier Wochen geprobt, weil unser Regisseur wollte, dass die Dialoge zu uns passen sollten. Wir mussten sie wie ein Klavierstück lernen, um darin so gut zu werden, dass wir später wieder freier mit ihnen umgehen konnten. Während der Proben haben sich die Texte auch wieder verändert, weil wir von uns aus ja etwas mitgebracht haben. Anton bringt diesen wundervollen Humor mit, der dann auch mit in die Dialoge eingeflossen ist. Aber schließlich haben wir uns dann sehr genau festgelegt, und jeder Take einer Szene, der entstanden ist, hatte genau den gleichen Dialog vorzuweisen. Andererseits haben wir in der zweimonatigen Drehzeit die Kamera oft einfach mitlaufen lassen, während wir als Jan und Jule im Transporter unterwegs waren, und Hans hat uns dabei kleine Dinge improvisieren lassen.

Jule hat große Lust am Philosophieren und diskutiert gerne über die unterschiedlichsten Dinge. Ist das etwas, was Sie mit Mala Emde gemeinsam hat?

Ich hoffe! Ich spreche und diskutiere gerne über Dinge, und sich philosophisch Gedanken darüber zu machen, was uns zu einem guten Leben und dem größtmöglichen Glück führt, das habe ich mit ihr gemein. Jule verfällt manchmal in einen Sprachduktus, in dem sie sich mit Intellektualität zu profilieren versucht und mit Begriffen um sich wirft – da muss man aufpassen, dass es menschlich bleibt, aber ich denke, das bekommt sie im Laufe des Films immer besser hin!

Bei dieser breiten Themenpalette von Gesprächen über das Weltwirtschaftssystem bis hin zu Beziehungsmodellen – welche Themen fanden Sie selbst dabei am spannendsten?

Ich musste sehr über diese vermeintlich biologisch-faktischen Theorien lachen, weil uns Hans auch nie richtig aufgeklärt hat, was davon wahr ist und was nicht (lacht). Als ich das Drehbuch zum ersten Mal gelesen hatte, erkannte ich darin doch sehr viele Themen, die auch mich beschäftigt haben. Es sind die Themen einer Generation, die in den letzten zehn Jahren als eher unpolitisch aufgewachsen ist. Damals war alles, was in Deutschland passierte, vermeintlich in Ordnung, weil sämtliche Konflikte nach außen gelagert wurden. Heute ist das anders. Durch die Flüchtlingsbewegung beispielsweise bekommen wir wieder viel mehr mit. Die Probleme sind auch in unserem eigenen Leben präsenter als zuvor. Uns wird nun wieder bewusster, warum wir dieses gute Leben führen können. Hans hat zehn Jahre am Drehbuch geschrieben und dabei so viele Themen verarbeitet, die auch mir wichtig sind, vom bösen Kapitalismus und der Leistungsgesellschaft bis hin zur vermeintlichen Liebesunfähigkeit meiner Generation. Deswegen könnte ich gar kein Lieblingsthema benennen, für mich ist gerade die Fülle der Themen der Reiz daran, weil damit ein ganzer Abschnitt meines Lebens wieder aufgegriffen wird.

Hatte Hans Weingartner denn sehr konkrete Vorstellungen von den beiden Figuren in seinem Film?

Ich glaube schon, dass er sehr konkrete Vorstellungen davon hatte und auch ein sehr gutes Gespür dafür, ob etwas für ihn filmisch funktioniert oder nicht. Er hat lange daran geschrieben, sehr lange für seinen Film gecastet und dann sehr lange mit uns geprobt. Er hat sich für all das so viel Zeit genommen, damit es am Ende so gut wie möglich werden konnte. Er war aber nicht auf seine Vorstellungen fixiert, denn sobald er uns vertraute, gab er uns auch die Möglichkeit, uns in die Figuren einzubringen. Wir haben dann auch eine Menge Material gedreht, das er im Schnitt dann in die finale Form gebracht hat. Bei allem, was er tut, geht Hans Weingartner immer einen oder zwei Schritte weiter als andere.

Wichtig war natürlich auch Ihr Leinwandpartner Anton Spieker. Kann man sagen, dass Ihre Pheromone während dem Dreh in Einklang waren?

(lacht) Wir haben uns sicherlich in gewisser Weise ineinander verliebt, aber nicht so wie Jan und Jule. Ich bin einfach wahnsinnig froh, Anton als Partner gehabt zu haben. Das hat spielerisch sehr gut funktioniert und auch unsere Kommunikation unter Kollegen, weswegen ich sehr froh bin, diesen Menschen nun als Kollegen und Freund in meinem Leben zu haben.

Sie hatten gerade erst den Führerschein gemacht, als Sie mit diesem Transporter dann quer durch Europa fahren mussten. Das war doch sicherlich auch eine Herausforderung, oder?

Tatsächlich, denn an der spanischen Atlantikküste gibt es ziemlich schmale Straßen. Und Hans Weingartner saß dann hinter mir im Transporter, entdeckte eine schöne Stelle, und sagte mir dann spontan, dass ich umdrehen solle – und das auf diesen engen Serpentinenstraßen! Das war wirklich nicht so einfach (lacht).

Hatten Sie bei dieser Fahrt durch Europa auch mal Gelegenheit, Land und Leute kennenzulernen, oder war doch alles eher auf den Dreh fixiert?

Sicherlich habe ich auch ein bisschen davon mitbekommen, weil wir diese Reise ja wirklich gemacht und auch eine gewisse Zeit in den Ländern verbracht haben. Nichtsdestotrotz blieben wir doch in der Blase unseres zehnköpfigen Drehteams. Es würde sich für mich lohnen, diese Reise unabhängig von den Dreharbeiten noch einmal zu machen.

Mit „Charité“ und „Brecht“ haben Sie kürzlich wieder zwei historische Stoffe abgedreht. Was reizt Sie daran im Vergleich zu solch aktuellen Stoffen wie nun „303“?

Ich finde es spannend, mich damit zu beschäftigen, was uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind – und auch die Unterschiede zu unserer heutigen Lebensrealität zu erkennen. Außerdem reizt mich, zu sehen, inwiefern eine Person ein Produkt ihrer Gesellschaft oder ihres sozialen Gefüges ist. Trotzdem sind wir im Kern doch immer Menschen und einige Dinge werden sich nie verändern, beispielsweise die Liebe oder der Schmerz – das hat sich vermutlich für Marie-Antoinette genauso angefühlt wie heute für mich.

Interview: Frank Brenner

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