Das schöne Wort „Netzwerk“ eroberte schleichend unser Privatleben. Netzwerke sind „in“ wie nie, obwohl kaum eine Stadt über mehr Erfahrung mit dem Klüngeln verfügt wie Köln. Wie schön, dass das heutige „Netzwerk Kölner Chöre“ bereits seit zwanzig Jahren existiert, wirklich sinnvolle Arbeit leistet und ganz freiwillig und sogar gerne seine Ergebnisse abhören lässt. Trotz dieser paradiesischen Bilanz blieb es bisher unkopiert, und das führt unweigerlich zu einem Alleinstellungsmerkmal in einer deutschen Szene, welche größer ist, als mancher stumme Betrachter ahnt: Das gibt es nur in der Domstadt.
Genau so unübersichtlich riesig wie die Zahl der in freien Konzertchören (nicht Kirchenchören) organisierten Sänger ist auch das Repertoire für Chor, gesungen wurde nämlich schon immer sehr viel, entsprechend auch komponiert. Leider hat sich wie in vielen anderen Bereichen eine Fokussierung auf ein Kernrepertoire entwickelt, das sich durch die natürliche Auslese über die Nachfrage beim Konzerttermin ergeben hat. Denn wer singt schon gern vor leeren Reihen? Immerhin kostet ein Konzert mit Orchester und Solisten in einem repräsentativen Raum eine schöne Stange Geld. Und meist zahlen die Sänger in diesen bis zum semiprofessionellen Bereich agierenden Ensembles monatlich einen Beitrag, mit dem Miete für den Proberaum und ein Honorar für den Chorleiter abgegolten werden. Dann sollten zum Konzert wenigstens die Kosten eingespielt werden – das klingt plausibel.
Niemand weiß genau, wer eigentlich die treibende Kraft ist, die Chorleiter oder die Choristen selbst. Aber irgendwie profilieren sich Chöre oder Dirigenten gern mit selten gespielten Werken, manchmal sogar mit Erst- oder gar Uraufführungen.
Es locken ungeahnte Gefahren, neue Techniken und besonders unvertraute Klänge. Viele Chorsänger durchschreiten bei der Erarbeitung ein echtes Jammertal, da wird erwünschte Freude zur harten Arbeit, die Nerven liegen blank. Aber ist das neue Werk vollbracht, dann entlohnt der Stolz über die kollektive Leistung für zurückliegende Wochen. Dieses schöne Erlebnis, meist vor kleinem Publikum, widerspricht aber dem erwünschten finanziellen Ergebnis.
Allein seit 1995 hat die bis 2011 „Arbeitskreis“ genannte Institution mit heute insgesamt 12 verbundenen Chören 200 verschiedene Werke in den repräsentativen Konzerten in der Kölner Philharmonie aufgeführt. Das war nur möglich, weil die Chöre sich gegenseitig gewagte Konzerte finanzierten: Wer Händels „Messias“ singt, füllt die Kasse, wer den „Assisi“ von Hermann Suter aufführt, der erhält Flankenschutz.
Positiver Nebeneffekt der Gesamtplanung ist, dass früher gängige Programmdoppelungen gedämpft werden. Seniordirigent Horst Meinardus: „Früher gab es fünf große Chöre, da herrschte ein Hauen und Stechen!“ Risikomindernd wirken auch Sandwichprogramme, in denen z. B. die Kölner Kurrende ein Requiem aus dem Jahre 2009 mit dem gleichnamigen Evergreen von Mozart kombiniert – das kann aufgehen. Und so verhilft diese einzigartige friedliche Verbindung zum Wohlgefühl von Publikum und Chorsängern, denn die singen, so Meinardus, letztlich ja „aus Spaß an der Freud!“
Harald Weiss/Mozart: Requiem Kölner Kurrende I 24.11. I Kölner Philharmonie
Festliches Weihnachtssingen: Gürzenich-Chor, Konzertchor und KölnChor I 23.12. I Kölner Philharmonie I www.netzwerk-koelner-choere.de
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