Zu Verdis Troubadour hat die Essener Aalto-Oper eine ganz besondere Beziehung. Altmeister Dietrich Hilsdorf legte mit seiner Inszenierung einst einen veritablen Theaterskandal hin. Die darin gezeigte „Blasphemie“ wurde lautstark bis in den Rat der katholischen Bistumsstadt hinein beklagt. Und der Regisseur erntete zugleich Lob für eine gelungene Arbeit. Lang ist´s her, mehr als 25 Jahre. Nun gibt es eine neue Version als Koproduktion mit der Seattle Opera. Das eingespielte französisch-niederländische Regieduo Patrice Caurier und Moshe Leiser hat es auf die Bühne gebracht. Zu Unmutsbekundungen bei der Premiere haben es auch sie geschafft. Ein Skandal aber ist dieser Troubadour sicher nicht.
Dabei geht es durchaus spektakulär los: mit gleich einem halben Dutzend Toten und einer an die Wand gespritzten Blutfontäne schon im allerersten Bild. Allerdings wird sich schnell zeigen: Das war´s erstmal für lange Zeit mit der Action. Bis zur Pause tut sich rein optisch nicht mehr allzu viel auf der Bühne.
Im sterilen Wartesaal mit Leuchtstoffröhren, der als Einheitsbühnenbild dient (Christian Fenouillat), machen die Regisseure aus dem „Zigeunerchor“ orientalisch anmutende Bootsflüchtlinge mit Schwimmwesten. Im Wartesaal werden sie von finsteren Anzugträgern erwartet und schließlich auch dahingemeuchelt. Das ist nicht furchtbar originell, ließe sich aber durchaus plausibel machen, würde die Geschichte denn erkennbar weitergesponnen. Doch darauf wartet man vergeblich. Es ist halt Krieg, und Krieg bedeutet Apokalypse, gibt diese Inszenierung sehr unspezifisch zu verstehen und zieht nach der Pause entsprechend die Register bei den Knalleffekten inklusive Granateinschlag.
Musikalisch entschädigt die Produktion dabei sehr umfassend. Ein bemerkenswertes Rollendebüt legt die Rumänin Aurelia Florian als Leonora hin. Mit ihrem klar leuchtenden und sehr geschmeidigen Sopran zeichnet sie ein differenziertes Charakterprofil der jungen Geliebten von Manrico, dem Troubadour. Der wird gesungen von Gaston Rivero, und so elegant und strahlend kriegen die Partie nur wenige hin.
Manricos bösen heimlichen Bruder und Nebenbuhler, den Grafen Luna, gibt ein neues Essener Ensemblemitglied: der Georgier Nikoloz Lagvilava. Er ist ein herrlicher Bösewicht mit Kraft und viriler Ausstrahlung. Das Zarte beherrscht er durchaus auch, kommt damit aber nicht so recht zur Geltung, weil die Regie dafür wenig Sinn hat. Die tiefen Gefühle gesteht sie am ehesten noch Azucena, der alten Zigeunerin zu. Carmen Topciu singt die innerlich zerrissene, traumatisierte Figur mit feurigem, abgründigem Mezzosopran zwischen Zerbrechlichkeit und eruptiver Energie. Absolut in Hochform präsentieren sich auch der erweiterte Chor (Jens Bingert) und das Orchester unter Leitung von Matteo Beltrami.
„Der Troubadour“ | R: Patrice Caurier / Moshe Leiser | 4.2., 25.3. 18 Uhr, 20.4. 19.30 Uhr | Aalto-Theater, Essen | 0201 812 22 00
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