Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 1
2 3 4 5 6 7 8

12.582 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Szene mit den Tänzern Robert Goodby und Mircea Ghinea
Foto: Schmidt/bildautor.de

Vorwärts, es geht zurück

07. November 2011

Uraufführung von „Revolver/Identities“ in der Alten Feuerwache Köln – Tanz in NRW 11/11

Ein ungewöhnliches Experiment wagte das Kölner movingtheatre.de: Vier Choreografen inszenierten gemeinsam das Tanztheater „Revolver/Identities“. Wo sonst viele Köche den Brei verderben, gelang hier ein außergewöhnliches Tanztheater für den – um im Bild zu bleiben – Tanz-Gourmet.

Die vier Choreografen Claudi Bombardó Oriol aus Spanien, Karl A. Schneider aus Österreich sowie Massimo Gerardi und Emanuele Soavi vom deutsch-italienischen movingtheatre.de richten einen je spezifischen Blick auf „eine Gesellschaft kurz vor der Explosion“. Die soziale Kälte greift um sich, die gesellschaftlich Ausgestoßenen organisieren sich – Bühne und Wirklichkeit sind sich so nah wie selten. Auf der Bühne wird Styropor schmerzhaft kratzend herum geschoben, beschriftet mit Begriffen, deren Sinn längst verloren ging (Big, Different, Fragile), aufgestellt wie Grabsteine. Während sich eine neue Eiszeit in Form von Styroporplatten unaufhaltsam nähert, feiern die einen noch ausgelassen und sind die anderen auf der Suche nach ihrer Identität im Chaos. Provozierend spielen die Tänzerinnen Iratxe Ansa und Nora Sitges-Sardá mit ihren Reizen, schnurren geschmeidig tanzend in synchroner Eintracht, um sich gleich darauf tanzend-fauchend zu fetzen. Wütend kratzt eine das YOU von der Styroporplatte, für sie zählt das ICH. Die anderen suchen sich selbst, scheinen zwischen die Mahlsteine des gesellschaftlich-politischen Umbruchs zu geraten, finden sich eingesperrt, gefoltert. Hart knallt ein Schemel auf den Boden wie ein Schlag ins Gesicht, der Körper zuckt zusammen. Robert Goodby und Mircea Ghinea tanzen mit gefesselten Händen ein bewegendes Duett zweier Gefangener, voller Angst und doch voll Hoffnung. Einfühlsam schiebt einer seinen Kopf in die Armbeuge des anderen und richtet ihn damit wieder auf. Die großartig ausgespielten Szenen werden von optischen wie akustischen Blackouts oder einem krachenden Revolverknall beendet. Das ist dann der Auftakt einer Hetzjagd aller auf Emanuele Soavi, der als agent provocateur mit beißender Ironie das Geschehen kommentiert. Janusköpfig, mit rollenden Augen am Hinterkopf und verdrehten Füßen, spielt er das personifizierte „Vorwärts, wir gehen zurück“.

Die Inszenierung reiht inhaltlich differente Szenen mit ganz unterschiedlichen tänzerischen Handschriften aneinander. Was auf den ersten Blick disparat wirkt, fügt sich durch eine geschickte Dramaturgie nicht nur erstaunlich gut zusammen, sondern ergänzt sich perfekt wie die zwei Seiten einer Medaille. Das liegt vor allem an der choreografischen Tragfähigkeit jeder einzelnen Szene und an der starken tänzerischen Präsenz der Akteure. „Revolver/Identities“ ist bildgewaltiges politisches Tanztheater. Eine überzeugende Inszenierung, die zum Nach-Denken animiert.

„Revolver/Identities“ | Choreografie: Bombardó Oriol/Gerardi/Schreiner/Soavi | Im November Vorstellungen in Barcelona/Sabadell/Fürth, NRW-Vorstellungen folgen | Infos unter www.movingtheatre.de

Klaus Keil

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Vaiana 2

Tanz.

Hier erscheint die Aufforderung!