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Wahrnehmung von Wartenden

11. März 2011

Angela Schanelec über ihren neuen Film „Orly“ - Gespräch zum Film 11/10

Angela Schanelec, Jahrgang '69, hat in den 80er Jahren in Frankfurt Schauspiel studiert. Nach einigen Theaterengagements studierte sie in den 90er Jahren in Berlin Regie. Seit 1995 dreht sie Spielfilme, darunter „Mein langsames Leben“ (2001), „Marseille“ (2004) und „Nachmittag“ (2007).

trailer: Frau Schanelec, Ihr neuer Film ist sehr dialoglastig und außerdem anders als ihre früheren Filme an einen Ort gebunden. Etwas provokant gefragt: Was unterscheidet Ihren Film von einem Theaterstück?
Angela Schanelec:
Sich auf einen Ort zu konzentrieren, ist weder ein Merkmal für das eine oder das andere. Um bei meinen Filmen zu bleiben: Auch bei „Nachmittag“, dem Film, den ich vor Orly gedreht habe, ist die Handlung bis auf sehr wenige Szenen auf ein Motiv beschränkt.

„Orly“ ist wie ein Episodenfilm aufgebaut, die Überleitungen der einzelnen Geschichten sind durch kurze Intermezzi strukturiert. Gibt es außer dem gemeinsamen Ort der Ereignisse einen Zusammenhalt der Episoden?
Bedingt durch den gemeinsamen Ort befinden sich die Figuren alle in der Situation des mehr oder weniger erzwungenen Wartens. Dadurch ändert sich etwas in ihrer Wahrnehmung, es gelingt ihnen ein anderer Blick auf ihr Gegenüber und auch auf sich selbst.

Was bedeutet der Ort für Sie – Flughafen im Allgemeinen und dieser Pariser Flughafen im Speziellen?
Orly hat für mich, bedingt durch die transparente Architektur, eine entspannte Atmosphäre, in der man zur Ruhe kommen kann. Ich fing an zu überlegen, was diese unverhoffte Ruhe mit den Leuten, die sich dort aufhalten, anstellt, und begann, Szenen zwischen Passagieren zu schreiben, die sich kennen, oder kennenlernen ... In dieser Phase habe ich mir auch andere Flughäfen angesehen und festgestellt, dass gerade neuere und sehr ambitioniert und teuer gebaute Gebäude wenig inspirierend sind, da jeder Quadratmeter so funktionalisiert ist, dass sie eher Stress fördern als Gelassenheit.

Wie verliefen die Dreharbeiten? Haben sie während des laufenden Flughafenbetriebs gefilmt, oder sind neben den Hauptdarstellern Statisten zu sehen?
Statisten gab es nur bei der Evakuierung. Sie bewegen sich zwischen den wirklichen Passagieren. An den anderen Tagen haben wir gedreht, ohne abzusperren und ohne auf den laufenden Betrieb Einfluss zu nehmen.

Die Evakuierung des Flughafengebäudes erscheint wie eine vom Zufall bestimmte Auflösung der Szenerie. Ist die Szene inszeniert, und wenn ja, was hat Sie zu diesem Ende bewogen?
Nicht nur die Evakuierung, sondern der ganze Film beruht auf einer Inszenierung, die die Begegnungen flüchtig und zufällig erscheinen lässt. Dass am Ende alle gehen müssen, bis der Raum, der die ganze Zeit voll von Leben und Geschichten ist, leer ist, wirklich ganz leer, verbindet die vielen einander Unbekannten miteinander, deutlicher als jede Erzählung es könnte. Dieses verbindende Moment finde ich wichtig. Es ist tröstlich.

INTERVIEW: CHRISTIAN MEYER

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