choices: Mit „Kopfende Haßloch“ widmeten Sie sich dem „durchschnittlichsten Dorf“ Deutschlands. „Ausfahrt Eden“ begibt sich vielleicht zu einigen der ungewöhnlichsten, dabei aber auch unbekanntesten Deutschen. Wie sind sie auf die Protagonisten ihres Films gestoßen?
Jürgen Brügger: Wir haben uns einfach sehr lange in dieser Gegend rumgetrieben. Ein Bier am peripheren Büdchen oder auch Fachsimpelei mit Kleingärtnern. Was uns interessierte, war immer diese eigentümliche Stimmung, die so oft ganz anders ist als in der Innenstadt oder auf dem Dorf. So haben wir die Leute kennengelernt. Dann gab‘s auch noch Tipps, etwa von Boris Sieverts.
Der Künstler Boris Sieverts hat ja mit seinem „Büro für Städtereisen“ jahrelang Gruppen durch die Kölner Peripherie geführt. Sie nehmen den Zuschauer auf ähnliche Art an die Hand. Allerdings bleiben ihre Orte im unbekannten Raum. Warum liefern sie keine geographische Verortung?
Jörg Haaßengier: Für uns kam es nicht darauf an, dass der Zuschauer bei jedem Bild weiß, wo genau man gerade ist. Es hätte ja auch den Blick versperrt für das, worauf es uns ankommt: Es sollte ein Gefühl transportiert werden für die Eigenart dieses Raumes. So als käme man nicht an den Kölner Stadtrand, sondern völlig unerwartet auf eine fremde Insel. Mit Leuten, die sich phantastische Projekte vornehmen, mit einer Landschaft, die einen an einen Dschungel erinnert, und im nächsten Moment an eine karge Wüste.
Die biografischen Hintergründe der Protagonisten bleiben ebenfalls fast komplett im Dunkeln. Warum lassen sie die inneren oder äußeren Beweggründe, sich an diese Randzonen zu begeben, außen vor?
Jürgen Brügger: Oft ist es ja Zufall, dass man sich am Stadtrand wiederfindet. Wir wollten die Leute – durchaus korrespondierend zur Landschaft – offener erzählen. Hätten wir ihre – tatsächlich oft schwierigen – sozialen Hintergründe miterzählt, hätte der Film eine andere Richtung bekommen. Das schien uns zu verkürzt, nach dem Motto Hartz IV gleich Stadtrand. Da wäre ein merkwürdiger Determinismus entstanden und wäre dem, was die Leute in diesem Raum suchen, nicht gerecht geworden.
Der Film ist wie ein Puzzle montiert und umkreist ein Jahr lang die verschiedenen Figuren. Dabei stellt zumindest die Tonspur hin und wieder direkte Zusammenhänge her. Wie waren die Drehtage organisiert und in welchem Radius spielten sich die Ereignisse tatsächlich ab?
Jörg Haaßengier: Wir waren am Kölner Rand unterwegs: Mal haben wir eine ganze Woche vorgeplant, an anderen Tagen haben wir uns einfach auf den Weg gemacht. Kein schlechtes Gefühl, morgens loszufahren und zu gucken, was der Tag wohl bringen wird. Außerdem war es oft alles andere als einfach, sich mit unseren Leuten zu verabreden.
Haben sie schon Pläne für ein neues Projekt?
Jürgen Brügger: Jetzt geht es um das Ordnen und Sortieren – und wie man sich dabei unweigerlich verzettelt. Vom staatlichen Großprojekt bis zum statistikinteressierten Rentner, der auswertet, wer auf dem Marktplatz vorwärts und wer rückwärts einparkt. Und warum das so ist.
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