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Keine Pulte, keine Stühle: Nicholas Collon macht’s möglich
Foto: Jim Hinson

Zweierlei Schicksal

30. August 2018

In Köln begegnet Beethoven Frankenstein und Wolfgang Schäuble – Klassik am Rhein 09/18

Wenn es viermal an die Pforte klopft, verspricht dies nicht unbedingt immer Gutes. Für ihre neue Konzert-Produktion u.a. mit HK Grubers „Frankenstein!!“ frei nach Mary Shelley hat das britische Aurora Orchestra ein Video ins Netz gestellt, das mit flüchtenden Spinnen und milchigem Kerzenlicht Grusel-Atmosphäre inszeniert. Das panische Frauenauge mustert in der Schlusssequenz die grobe Holztür, an die vier harte Schläge dröhnen – wie am Beginn von Beethovens Fünfter, dem zweiten Konzertteil des Kölner Konzerts.

Nicolas Collon, der erste Gastdirigent des Gürzenich-Orchesters, hat sich mit seinem eigenen Ensemble aus London auch am Rhein bereits wärmstens empfohlen. Seine „Pastorale“ mit choreografierten Orchestergruppen und illuminiertem Bühnendekor intensivierte das Musik-Erleben nachhaltig. Collons Musizierstil „by heart“, das Spiel aller Akteure ohne Ablenkung durch Noten und Platzbindung durch Pulte oder Stühle, befreit auch den Hörer von der starren Blickbindung auf die Formation – der Klangkörper bewegt sich, pulsiert, wechselt die Ausrichtung, kann sich konzentrieren und in die Breite schweifen. Das bietet eine neue und bereichernde Konzerterfahrung – für Spieler und Hörer.

Jetzt trifft dieser sprühende Musiziergeist dieses „Beethoven-Monsters“, mit dem der Bonner Meister Angst und Schrecken bei seinen sinfonischen Nachfolgern geschaffen hat – Brahms hörte z.B. „einen Riesen“ hinter sich trapsen, was eine sinfonische Schreiblähmung nach sich zog  –, auf die englische Version des Gruberschen „Frankenstein!!“ , ein „Pandämonium für Chansonnier“ nach Texten von Hans Carl Artmann. Dieses originelle wie unkonventionelle Werk findet im britischen Humor einen Anker und in dem Bariton Marcus Farnsworth einen meisterlichen Lied-erprobten Interpreten. Als Ouvertüre musizieren die Engländer Ballettmusiken aus Mozarts „Idomeneo“, das sind selten zu hörende Pretiosen.

Neuland betritt auch der WDR mit seinem Sinfonieorchester im neuen Format „Klassik im Dialog“, zum Beginn mit der in diesem Monat häufiger bemühten „Schicksals-Sinfonie“ Ludwig van Beethovens und einem ungewöhnlichen Festredner: Dr. Wolfgang Schäuble, aktueller Bundestagspräsident, wird über das Thema „Schicksal“ aus ganz persönlicher Sicht referieren und dabei seine staatsmännisch geschulten Erfahrungen einbringen. Das Hören der Sinfonie Nr. 5 als Alternative zur britischen Version „by heard“ könnte dabei reizvoll ausfallen: Jukka-Pekka Saraste hat mit dem Sender-Orchester in den letzten Jahren „ihren“ Beethoven und dessen Erben Brahms im Klang entwickelt. Jetzt fügt Altmeister Marek Janowski mit dem Orchester einen gemeinsamen Beethovenzyklus im Ruhrgebiet hinzu, der in Köln startet. Damit ehren die Kölner Musiker den stets der Region verbundenen Dirigenten kurz vor seinem Achtzigsten als einen puristisch werkbezogenen Kapellmeister des „Alten Schlags“ – besonders ergiebig wirkt der Kontrast zum Heißsporn Collon: zwei verschiedene Welten mit unleugbar existierenden eigenen Reizen.

Konzerte in der Kölner Philharmonie:

So 9.9. 16 Uhr: Aurora, Collon, Farnsworth | Sa 29.9. 20 Uhr: WDR SO, Janowski, Schäuble | www.koelner-philharmonie.de | 0221 280 280

Olaf Weiden

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