Sport ist etwas Wundervolles. Die kollektive Ekstaseerfahrung, wenn traumhaftes Teamspiel, körperliche Leistung und geübte Manöver zu einem Tor führen. Der Stolz, nach schier endlosen Schmetterballwechseln mit zwei Punkten als Sieger einem ebenbürtigen Team die Hände unter dem Netz zu schütteln. Der Zauber fernöstlicher Philosophie von Ausgeglichenheit und Respekt, der über dem Dojo weht. Die Spannung, wenn man auf das Ergebnis auf der Zielscheibe blickt, nachdem die Mischung aus Augenmaß, Koordination und Krafteinsatz gelungen ist.
Und dann gibt es Fitnessstudios. Simple Bewegungen für simple Gemüter, wie böse Zungen behaupten würden. (Wenngleich etwas dran sein mag, wenn gerade in Fitnessstudios gezielt Werbung für Filme wie „Fast & Furios, Teil Dreiunddrölfzig“ gemacht wird, die sich bekanntermaßen nicht an die Freunde des gedankenvollen Kinos wenden.) Und doch sind Fitnessclubs die mitgliederstärksten Sportclubs in Deutschland, sogar noch weit vor Fußball – mit knapp 11 Mio. gegenüber 6,5 Mio. Mitgliedern.
Wer will schon leiden?
Denn das Angebot der Fitnessstudios hat ja durchaus was für sich. Schreibtischmalocher können gezielt ihren anderenfalls verkümmernden Rücken trainieren, Boulderfans ihre Armmuskulatur stärken. Hier kann gejoggt werden, wenn Regen und verbaute Innenstädte es nicht zulassen. Und ob man Zumba-Bewegungen im Kollektiv durchführt oder beim Jiu-Jitsu irgendwelche Katas, macht doch auch keinen Unterschied, oder? Sport ist gut für Körper und Seele, kann sogar depressive Phasen lindern. Wo ist also das Problem?
„Wir motivieren uns falsch zum Sport“, schrieb NZZ online. Man möchte präzisieren: „Wir motivieren uns aus den falschen Gründen zum Sport.“ Es geht den meisten der 11 Millionen Fitnessstudiomitglieder (den Autor dieser Zeilen eingeschlossen) doch weniger um die Freude an der Bewegung und am Wettbewerb, sondern um das Versprechen, mit dem die Studios ködern: Bikinifigur für die Freibadsaison, Weihnachtsspeck weg. Tendenziell konservative Medien beschwören als Mitschuldige dann auch gerne immer wieder Influencer, die harte Arbeit und professionelle Werbeproduktionen als mühelose Einblicke in ein unbeschwertes Privatleben voller Fitness und Energie tarnen. „Wer schön sein will, muss leiden“, weiß der Volksmund des postindustriellen Zeitalters – doch wer will schon leiden? Und so kommt es, dass spätestens ab März die Fitnessstudios wieder so leer sind wie vor der Zeit der guten Vorsätze.
Es ist kein Zufall, dass der Fitnesstrend, der seit den 70ern in mal stärkeren, mal schwächeren Wellen vorherrscht, parallel zum Trend der Selbstoptimierung einhergeht. Wer seinen Körper im Griff hat, hat sein Leben im Griff. Wer 20 kg abnehmen kann, kann auch 20k verdienen.
Fitte Quartalszahlen
Einsatz und Durchhaltevermögen und, ja, auch ein gesunder, schöner Körper sind erstrebenswert. Oft wird von Leistungsgesellschaft so gesprochen, als ob Leistung etwas Negatives wäre. Doch sind es nicht die Leistungen einzelner und von Gemeinschaften, die Wohlstand und Sicherheit schaffen? Sicherlich. Doch ist nicht der unermüdliche Einsatz von Ärzten und Pflegepersonal, von Wissenschaftlerinnen und Kämpferinnen für soziale Gerechtigkeit, den Tüftlern und Kleinkünstlern, den Vätern und Müttern, die es schaffen, einmal die Woche zum Badminton zu gehen, wertvoller als der von durchtrainierten Schniegelschnauzen, die dank Apps und Fitnessarmband ihren Trainingsplan und Kalorienverbrauch diszipliniert einhalten, um mehr Kraft für das nächste Audit oder die nächste Quartalszahlenpräsentation zu haben?
UNHEIMLICH SCHÖN - Aktiv im Thema
de.statista.com/statistik/daten/studie/221664/umfrage/anteil-der-haeufigsten-schoenheitsoperationen-in-deutschland | Statistik über die beliebtesten Schönheits-OPs in Deutschland von 2021 bis 2023.
profamilia.de/fuer-jugendliche/pubertaet/schoenheit | Pro Familia-Beitrag über den Umgang mit Schönheitsidealen in der Pubertät.
verein-tabu.de | Die Dortmunder Verein zur Verhinderung von weiblicher Genitalverstümmelung.
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