Die neuen Spielregeln hat der alte Eisenstein noch nicht so recht verstanden. Der Krieg ist verloren, und nun will niemand mehr dabei gewesen sein bei der einst so glühenden großdeutschen Hitler-Gefolgschaft. Erst recht nicht jene, die im Nachkriegs-Wien wieder in Amt und Würden gelangt sind. So kommt es auch gar nicht gut an, als Eisenstein eine „Amtsperson“ an die gemeinsame Parteivergangenheit erinnert. Und weil sein Advokat auch noch ein echter Trottel ist, landet der alte Grantler wegen Beleidigung gar im Arrest.
Es braucht nicht lange, um zu verstehen, dass Regisseur Thomas Weber-Schallauer sich nicht gerade als Botschafter seiner österreichischen Heimat versteht. Das Wiener Establishment seiner „Fledermaus“ hat durchweg Dreck am Stecken und übertrifft sich gegenseitig in Scheinheiligkeit. Johann Strauss‘ Operettenhit „Glücklich ist, wer vergißt“ bekommt in diesem Kontext eine neue Bedeutung. Und auf dieser Ebene funktioniert Weber-Schallauers Umdeutung der wohl beliebtesten Wiener Operette durchaus gut – als klamaukige Komödie mit bissigen Untertönen. Die Wiener Gesellschaft nimmt es mit der ehelichen Treue ebenso wenig genau wie mit der politischen Gesinnung.
Dass das Theater Hagen seine Jubiläumsspielzeit zum 100jährigen Bestehen mit Strauss‘ „Fledermaus“ beginnt, ist einem direkten Publikumswunsch geschuldet. In einer Umfrage hatte sich die Mehrheit für den komischen Dreiakter ausgesprochen. Und Intendant Norbert Hilchenbach verpflichtete mit Weber-Schallauer einen Regisseur, der auch als Schauspieler schon öfter in komischen Rollen auf der Hagener Bühne zu sehen war. Als Regisseur setzt Weber-Schallauer ebenfalls stark auf die Ausdruckskraft seiner Darsteller. Die Besetzung gibt das durchaus her. Dominik Wortig (Eisenstein), Stefanie Smits (Rosalinde), Rainer Zaun (Gefängnisdirektor), Sarah Längle (Adele), Jeffery Krueger (Alfred) und Richard van Gemert (Advokat) haben das nötige komische Talent weit über die üblichen Buffo-Klischees hinaus. Über den zu kurzen Atem der Regie allerdings kann das nicht hinwegtäuschen. Funktioniert der erste Akt im Nierentisch-Ambiente des Eisensteinschen Nachkriegs-Wohnzimmers noch ganz gut, so fehlen dem zweiten schon die zündenden Ideen. Kristine Funkhauser als Prinz Orlofsky steigt pünktlich zur Party als frisch geliftete Mumie vom OP-Tisch des Schönheitschirurgen und verleiht als androgynes Kunstwesen dem ausschweifenden Fest einen skurrilen Grundton. Das ist ein netter Einfall, aber letztlich zu wenig.
Den dritten Akt nutzt Weber-Schallauer dann für eine gründliche Abrechnung mit der nach wie vor braunen Gesinnung des Nachkriegs-Österreich. Schauspieler Werner Hahn bekommt dafür als Gerichtsdiener Frosch eine ausgiebige Spielszene, die er zwar gut über die Rampe bringt, die in ihrer Länge aber überreizt wirkt. Die Botschaft Weber-Schallauers ist schon in den ersten Akten angekommen. Der Rest ist Klamauk pur und untermauert den Eindruck, dass das ursprüngliche Regiekonzept im Laufe des Stücks gründlich zerfasert ist. Musikalisch macht diese Fledermaus hingegen durchweg Spaß. Bernhard Steiner entfesselt am Pult Schwung und Heiterkeit, die unmittelbar auf die Solisten und einen glänzenden Chor überspringen.
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