Gut zwei Jahre ist es her, da gaben Regisseurin Annette Wolf und Ausstatterin Lena Brexendorff an der Hagener Oper ihren Einstand und landeten mit Rossinis „La Cenerentola“ prompt einen Coup. Die komische Oper kam nicht als museales Schmunzelstück für Kenner daher, sondern als tempo- und pointenreicher Brüller. Ihr Aschenputtel schuftete in der Würstchenbude, während die bösen Stiefschwestern als It-Girls durch die Partyszene der Reichen und Schönen tingelten. Intendant Norbert Hilchenbach hatte mit Wolf und Brexendorff offensichtlich ein Dreamteam für Komödien verpflichtet. Nun sind den beiden Frauen nach Hagen zurückgekehrt und übertreffen sich selbst – wieder mit Rossini und wieder mit einem Partyschönling, dieses Mal allerdings einem männlichen: dem Barbier von Sevilla.
Raymond Ayers gibt den eitlen Figaro mit trendiger Fransenfrisur, Sonnenbrille und weißem Aufschneideranzug. Und er darf seine Rolle auch gesanglich ausgiebig persiflieren, was ihm gut gelingt. Gegen den coolen Barbier wirkt Jeffery Krueger als verliebter Incognito-Graf Almaviva reichlich vertrottelt – eine gute Voraussetzung für allerlei kleine Gags bis hin zu ausgewachsenen Slapstickeinlagen. Regisseurin Wolf findet stets das rechte Maß, wobei die Stärke ihres Barbiers eindeutig in der kräftigen Überzeichnung liegt. Rossini und sein Librettist Cesare Sterbini haben in mancher Szene das reinste Tohuwabohu entfesselt. Annette Wolf kostet das in vollen Zügen aus. Dabei kann sie auf eine äußerst spielfreudige Solistenriege zurückgreifen, die ebenfalls für jeden Spaß zu haben ist. Baßbariton Rainer Zaun etwa schneidet als rabiater Zahnarzt Doktor Bartolo Grimassen, als wäre er bei Louis de Funès in die Lehre gegangen. Und seine ältliche Helferin Marcellina (Christine Graham im Wechsel mit Tanja Schun) nimmt in der Praxis gern mal eine Nasevoll Lachgas, wenn gerade kein Likörchen in Reichweite ist.
Das alles ist so grotesk und comichaft, dass Ausstatterin Brexendorff konsequenterweise das Bühnenbild schwarzweiß mit groben Strichen zeichnet und den Figaro zu Beginn direkt durch die Papierwand in die Szene springen lässt. Auf der Drehbühne sind schnelle Wechsel zwischen Zahnarzt-OP, Wohnzimmer und dem Schlafzimmer Rosinas möglich – und entsprechend turbulente Szenen. Regisseurin Wolf brennt ein solches Feuerwerk an Action, Gags und vielen kleinen Überraschungen ab, dass die 90 Minuten des ersten Aktes wie im Fluge vergehen und auch der zweite Akt schnell wieder Fahrt aufnimmt. Den Schwung bezieht die Regie dabei unmittelbar aus der Musik. Partitur und Regie widerstreben an keiner Stelle. Und Bernhard Steiner dirigiert die Hagener Philharmoniker mit Elan und Pfeffer. Wenn das zuweilen auch mal etwas rustikaler klingt, hat das durchaus seinen Charme. Munter springen die Funken zwischen Orchestergraben und Bühne hin und her. Rossinis Musik ist springlebendig und dabei durchaus handfest. So wird sie in Hagen gespielt auch gesungen – nicht zuletzt von Kristine Funkhauser als Rosina, die neben jugendlicher Leichtigkeit in den Höhen auch eine erdige Mezzo-Fundierung beweist. So macht Oper Spaß!
Weitere Texte zum Thema:
Der Hagener Impuls zur Fledermaus - Bericht über die Festwoche 100 Jahre Theater Hagen
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Sündenbock im Bible-Belt
Carlisle Floyds „Susannah“ in Hagen - Oper in NRW 05/12
Arm, aber sexy im Waggon
Giacomo Puccinis „La Bohème” in Hagen – Oper in NRW 01/12
Abrechnung mit braunem Nachkriegs-Wien
Die Fledermaus von Johann Strauss in Hagen - Oper in NRW 10/11
Beim Therapeuten für Selbstmord-Kandidaten
Eine Oper in straffer Szenenfolge. Fatih Akıns „Gegen die Wand“ in Hagen - Opern in NRW 04/11
Besiegt Vernunft die Leidenschaft?
„Orlando“ an der Oper Köln – Oper in NRW 11/24
Unerwartet Kaiserin
„Der Kreidekreis“ in Düsseldorf – Oper in NRW 11/24
Horror und Burleske
Die Spielzeit 24/25 am Gelsenkirchener MiR – Oper in NRW 07/24
Opern-Vielfalt am Rhein
„Nabucco“ eröffnet in Düsseldorf die Spielzeit 2024/25 – Oper in NRW 06/24
„Kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit“
Kapellmeister Hermes Helfricht über Werner Egks „Columbus“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 06/24
Welt ohne Liebe
„Lady Macbeth von Mzensk“ am Theater Hagen – Oper in NRW 05/24
Die Gefahren der Liebe
„Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln – Oper in NRW 05/24
Absurde Südfrucht-Fabel
„Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 04/24
Grund des Vergessens: Rassismus
Oper von Joseph Bologne am Aalto-Theater Essen – Oper in NRW 03/24
Verpasstes Glück
„Eugen Onegin“ in Bonn und Düsseldorf – Oper in NRW 02/24
Täuschung und Wirklichkeit
Ein märchenhafter Opern-Doppelabend in Gelsenkirchen – Oper in NRW 02/24
Unterschätzte Komponistin?
„Der schwarze Berg“ an der Oper Dortmund – Oper in NRW 01/24
Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24
Der unfassbare Gott
Oper Bonn zeigt Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ – Oper in NRW 12/23
Unheimlich ungelebte Geschichte
„Septembersonate“ an der Rheinoper Düsseldorf – Oper in NRW 11/23
Ein Schluck auf die Liebe
„Der Liebestrank“ an der Oper Köln – Oper in NRW 11/23
Fluch der tragischen Rache
„Rigoletto“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 10/23
Lynchmord in New Orleans
Uraufführung von „The Strangers“ an der Oper Köln – Oper in NRW 09/23
Radikaler Minimalismus
„Parsifal“ in Düsseldorf – Oper in NRW 09/23
Komplexer Märchenstoff
„Die Frau ohne Schatten“ in der Oper Köln – Oper in NRW 08/23
Hexen, Blut und Wahnsinn
„Macbeth“ am Aalto-Theater in Essen – Oper in NRW 08/23