Für das Moers Festival war es in den letzten Jahren finanziell oft kniffelig. Da half auch die Tradition als international anerkanntes New Jazz Festival nicht. Zu den Sparmaßnahmen gehörten 2014 die Verabschiedung vom Flair eines Niederrhein-Woodstock und der Umzug in eine Festspielhalle. Die Atmosphäre hat sich verändert, die Aura eines Experimentierfeldes blieb intakt, wie die erfolgreiche Bilanz von 12.000 Besuchern im letzten Jahr belegt. Saniert ist Moers aber nicht. Diesmal fallen dem Sparzwang z.B. zwei Schulprojekte frühkindlicher Musikförderung zum Opfer. In der Institution des „Improviser in Residence“ bleibt die Nachwuchsförderung aber implizit erhalten. 2015 wird der Saxofonist und Klarinettist Hayden Chisholm nicht nur Konzerte und Projekte organisieren, sondern auch mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Der Neuseeländer löste bereits im Januar die Pianistin Julia Hülsmann als Improviser ab. Zur Eröffnung spielt er mit dem Lucerne Jazz Orchestra auf. Gefolgt von The Nest, hinter dem Christoph Clöser steckt, Mastermind des Doom/Metal&Ambient-Projekts Bohren & der Club of Gore. Den Abschluss am Freitag liefert mit den Family Jones Singers ein Gospel-Funk-Oktett aus Texas, das Reiner Michalke erst im Januar in einem kleinen New Yorker Club entdeckte.
Seit zehn Jahren künstlerischer Leiter in Moers, kuratiert Michalke durchaus subjektiv und nach eigenem Gusto. Nicht jeder Gig sagt da jedem Besucher gleichermaßen zu, aber Offenheit gehört bei Fans der Improvisierten Musik zum guten Ton. Die Herkunft der KünstlerInnen ist so vielseitig wie die musikalischen Stile, die sie pflegen. Neben hauptsächlich europäischen und US-amerikanischen Formationen, bilden Bassekou Kouyaté aus Mali oder das Ziad Rajab Trio, dessen Wurzeln in Aleppo liegen, die exotische Ausnahme. Die Akustik der Festspielhalle schmeichelt Big Bands wie auch dem intimen Set. Über die Verpflichtung Colin Stetsons dürfte sich keiner beschweren. Der Multiinstrumentalist arbeitete schon mit Tom Waits oder Feist und sprengt gern die Grenzen Improvisierter Musik. Besonders vielversprechend ist sowohl seine Kollaboration mit Sarah Neufeld, Violinistin der kanadischen Indierockband Arcade Fire, als auch Stetsons Interpretation der „Symphony of Sorrowful Songs“ des Komponisten Henryk Mikolaj Górecki. Die Variationen sind noch offen, viel tiefes Holz wird wohl dabei sein. Der mit einem elfköpfigen Orchester aufgeführten Sinfonie liegen drei Texte der polnischen Geschichte zugrunde, alle handeln von Kriegsleid in verschiedenen Epochen. Wie Stetsons Variation auch ausfallen wird, auch in ihrer puren Instrumentalität wird sie allein der Vorlage wegen eine politische Dimension enthalten. Wie jede Kunstform spiegelt Improvisierte Musik das Lebensgefühl des Moments, in der sie entsteht; ihre Reaktionszeit ist nur weitaus kürzer, aktueller. Die kriegerischen Konflikte unserer Gegenwart werden bei Stetson nonverbal anklingen. Im Fokus steht aber auch 2015 das musikalische Programm, das erneut mit dem Abgefahrenen liebäugelt und mit der Belastbarkeit und Offenheit des Publikums experimentiert.
Moers Festival | 22.-25.5. | Festivalhalle Moers, Venloer Straße | www.moers-festival.de
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