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Foto (Ausschnitt): Maurice Haas / © Diogenes Verlag

Mit KI aus der Zwangslage

30. Dezember 2024

„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25

Fristlose Kündigung, das Konto leer, die Freundin abgehauen: Der Protagonist ist ein arbeitsloser Werbetexter in einer Zwangslage. Wie er sich daraus befreien kann, geht ihm eher zufällig auf: mithilfe künstlicher Intelligenz.

Wo üblicherweise Widmungen stehen oder Inspirierendes zitiert wird, ist dem Roman ein Zitat von Chat GPT vorangestellt. Denn die KI wird vom „bedrohlichen Zauberwort“ der eigenen Überflüssigkeit zur Komplizin: Mit immer wieder verfeinerten Anweisungen lässt der Werbetexter sie Absatz um Absatz eine Geschichte schreiben, die er als Buch verkaufen will. Lewinsky hat das selbst ausprobiert und diese Absätze eingeflochten. „Die KI hat sie geschrieben, aber ich habe sie erfunden“, redet sich der Protagonist ein.

Mit Witz und Esprit beschreibt Lewinsky zunächst das Arbeitsethos des Werbetexters, der Müsli anpreist, obwohl er es nicht ausstehen kann. Das ist ab der ersten Seite äußerst unterhaltsam, auch wenn die zerbrochene Beziehung des Protagonisten behandelt wird. Mit Anspielungen auf vom Journalisten Claas Relotius erfundene Reportagen gegenüber KI-generierten „Tatsachen“, verhandelt Lewinsky, was Autorschaft eigentlich noch bedeutet. Er stellt Mensch und Maschine auch stilistisch gegenüber: Manche Sätze enden im Nichts – solche lesbaren Gedankensprünge finden sich nicht in den KI-Absätzen.

Der Spannungsbogen zeichnet den Weg vom spielerischen Ausprobieren bis zur Abhängigkeit nach. Der zynische Protagonist befreit sich aus der Unterwürfigkeit, die seine privaten und beruflichen Beziehungen kennzeichneten, und erlangt als Autor Macht über seine Erzählung. Doch nur bedingt aus eigener Kraft: „Die künstliche Intelligenz hätte es ebenso gut gemacht. / Besser.“, reflektiert er sein Schaffen. Und: „Meine eigene Intelligenz lügt fast so gut wie die künstliche.“ Bald befindet er sich im permanenten Dialog mit der KI. Alles läuft gut, bis das als wahre Geschichte vermarktete Buch zum Bestseller wird. Wie jetzt mit immer drängenderen Fragen nach den vermeintlichen Tatsachen umgehen? Er trickst die der KI einprogrammierte Ethik aus und fragt das Programm um Rat. Das liest sich immer noch sehr unterhaltsam, doch zunehmend schwingen ernstere Töne mit.

Charles Lewinsky: Täuschend echt | Deutsche Originalausgabe | Diogenes | 352 S. | 26 Euro

Melanie Schippling

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