Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek erwähnt an verschiedenen Stellen das Beispiel, in dem der autoritäre Vater seinen Sohn dazu zwingt, zum Besuch der kranken Großmutter zu kommen. Antiautoritäre Eltern bevorzugten dagegen, ihren Kindern einzureden, dass sich die Oma sehr über einen Besuch freuen würde und wie großartig es wäre, wenn sie doch mitkämen.
Žižeks Denkfigur überschneidet sich mit dem Umgangston in der neoliberalen Agenturwelt, in der sich Clemens Bruno Gatzmagas Protagonist Jacob bewegt. Vermeintlich frei von Zwang und selbstbestimmt. Denn als ihn eines Tages der CEO – „der wie so oft übergangslos von flauschig sanft zu rasiermesserscharf wechselte“ – auf einen große Projektchance anspricht, hätte Jacob am liebsten abgesagt. Schließlich saß er ohnehin bereits bis in den Abendstunden am Schreibtisch, was er auch inszeniert: Bei Instagram veröffentlicht er ein Foto von sich und einem Pizzakarton, inklusive Kommentar: „last man standing“. Jacob sagt dem CEO zu.
Neue Arbeitscodes
Es sind die Formeln einer Selbstverwirklichung durch Arbeit, einer Tätigkeit ohne Zwang und eigenem Zeitmanagement, von denen Clemens Bruno Gatzmagas „Jacob träumt nicht mehr“ erzählt. Der gebürtige Düsseldorfer war selbst einige Zeit in einer Agentur beschäftigt. Im Literaturhaus Dortmund las er daher nicht nur aus seinem schmalen Debütroman, sondern gab auch einen Einblick in jene Freiheitsversprechen.
„Diese Agenturen sind die Speerspitze der New-Work-Bewegung“, sagt Gatzmaga. Damit meint er die Werte, die in smarten Großraumbüros hochgehalten werden: familiärer Umgangston, Selbstidentifizierung mit der Arbeit und Genuss an der Tätigkeit. Oft münde dieses Betriebsklima in eine vermeintliche Work-Life-Balance, die zu Ungunsten der Lohnabhängigen aus den Fugen geraten sei – und weit verbreitet, betont Gatzmaga: „Es gibt diesen Campus-Gedanken wie bei Thyssen, wo es Yoga-Angebote oder Schlafzimmer gibt.“
Verkorkst und abgeschottet
Und wer auf so einem Campus arbeitet, muss die Codes beherzigen: „Es gibt eine Sprache der Empathie“, erzählt Gatzmaga. Und die gelte, falls etwa Projekte scheiterten: „Man wird nicht gefeuert, aber man muss eine Schuld-und-Sühne-Sprache finden.“ Um das zu bewerkstelligen, belegt sein Protagonist Achtsamkeitstrainings oder lässt vom „Fitnesstrainer für Emotionen“ die „emotionale Standortbestimmung“ überprüfen. So erscheint die Agenturwelt in dem Roman als eine Mischung von verkorkster Familie und abgeschotteter Sekte.
Gatzmaga betont ebenso den eigenen Agentur-Jargon: „Die Sprache spielt eine große Rolle, vor allem die Anglizismen“, erklärt der Schriftsteller. „Es ist ein geschlossenes System.“ Zu den wichtigen Begriffen zählt etwa der „Pitch“, ein Smart-Banking-Programm. Genau mit einem solchen großen Auftrag einer Bank kommt eben der Geschäftsführer auf Jacob zu. Denn er wisse ja, „dass wir schon lange bei den Financial Services aufrüsten wollen. Da muss mehr Power in die Sales Pipe“, so der CEO „Ich wünsche mir da dein Commitment.“ Was als zwangslose und demokratische Beschäftigung suggeriert wird, führt Gatzmagas Protagonisten im Laufe des Romans schnurstracks in den Burnout.
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