In einem Zugabteil sitzt dem berühmten Autor Eduard Brünhofer „eine Frau mittleren Alters“ gegenüber. „Eher früheren mittleren Alters“, verbessert er sich schnell. Ein nicht unbedeutendes Detail, wie uns Brünhofer – der hier erzählt – mitteilt, denn er selbst ist um einiges älter. Die junge Frau verwickelt ihn im Zug von Wien nach München in ein Gespräch, das ihm gar nicht recht ist. Das jedenfalls behauptet er im Stillen, denn wir erfahren nicht nur das, was zwischen den beiden gesprochen wird, sondern auch das, was er darüber denkt.
Zunächst stellt sie die gewöhnlichen Fragen zum Schriftstellerleben, aber schnell wird deutlich, dass nicht nur Verehrung im Spiel ist, dazu sind die Fragen zu zielgenau und vor allem hartnäckig. Ihm ist das nur scheinbar lästig, im Grunde weckt es seine Eitelkeit und lockert seine Zunge mehr als er für möglich gehalten hätte. Bald schon sind sie beim Kernthema aller Belletristik, der Liebe. Diese Dialogpassagen lesen sich gut, weil sie Tempo in Daniel Glattauers Roman bringen. Der Österreicher gehört zur kleinen Gruppe von Autoren, die von ihren Büchern leben können. Millionenfach verkaufen sie sich. Auch „In einem Zug“ dürfte durch die Decke gehen. Es ist unterhaltsam, dieses sprachliche Florettfechten zwischen Frau und Mann. Die Direktheit, mit der sie ihn über Liebe und Sex ausfragt, bringt die beiden näher. Wenn da nicht immer wieder zwischen den Gesprächspassagen gedanklich umgerührt werden müsste. In ihnen erklärt uns der nicht mehr junge Herr die Welt und seine Vorlieben.
Letztlich erfährt man nicht viel über die Liebe, etwa warum sie zündet und wie sie den Sex entflammt. Das ist es, was die junge Frau wissen will, während er mit seiner „glücklichen“ Ehe mauert. Den nötigen Sog erhält der Text mit der Erwartung, dass noch etwas kommen wird. Der Zug nähert sich München und mit der verrinnenden Zeit schlägt die Geschichte einige heftige Kapriolen. Glattauer weiß, was er seiner Leserschaft schuldig ist. Trotzdem hätte er etwas mehr riskieren können, denn Liebe und Sex sind auch Erkenntnisweisen. Mit ihnen würde allerdings ein ernster Ton angeschlagen und Glattauer wollte offenbar eher amüsant sein. Ein Kunststück, das ihm gelungen ist.
Daniel Glattauer: In einem Zug | Dumont | Erscheinungstermin: 13.1.25 | 206 Seiten | 23 Euro
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