Bochum, 27. März – Es ist gerammelt voll im ausverkauften endstation.Kino. das Netzwerk „Recht auf Stadt – Ruhr“ hat zum Auftakt der Tour des Dokumentarfilms „Das Gegenteil von Grau“ geladen. Es geht um nichts Geringeres als um eine Utopie für neue Formen des Zusammenlebens, und zwar hier im Ruhrgebiet. Wie könnten die aussehen, fragen sich AktivistInnen von Dortmund bis Duisburg und finden kreative Antworten in Dutzenden alternativen Projekten. Zahlreiche ProtagonistInnen aus dem Film sind ins Kino des Bahnhof Langendreer gekommen und haben Lust, zu diskutieren.
Sie suchen nach Nischen und Freiräumen in ihren Städten, die sie selbst gestalten wollen, sei es für einen Bauwagenplatz, einen anarchistischen Buchladen, eine Graffiti-Wand oder ein sozio-kulturelles Zentrum. Schön bunt ist die Auswahl der 22 Initiativen, die im Film zu Wort kommen, allesamt beflügelt von dem Wunsch, die Nachbarschaft im eigenen Sinne frei zu gestalten, solidarisch und ohne ökonomische Zwänge. Der Berliner Dokumentarfilmer Matthias Coers (Mietrebellen) schmiedete für das Filmprojekt eine Allianz mit dem Netzwerk „Recht auf Stadt – Ruhr“, das sich vor knapp vier Jahren gründete und mit seiner Behauptung „Wir sind der Meinung, dass es das Ruhrgebiet nicht gibt“ schon einige heiße Debatten ausgelöst hat.
Selbst fest verankert in der Szene, präsentiert Coers einen klassischen Bewegungsfilm: einmischen, mitmachen, Sichtbarkeit ist die Devise. Der Film soll dazu dienen, Gruppen miteinander bekannt zu machen, die gleiche Anliegen verfolgen und mit positiven Beispielen andere zu inspirieren bevor „die Kacke am dampfen ist“, wie es ein Bewohner der Zinkhüttensiedlung in Duisburg-Marxloh formuliert. Fünf Jahre lang wurde hier gegen ein gigantisches Outlet Center gekämpft. Der Abriss der 300 Wohnungen konnte verhindert werden, der Kampf um den eigenen Raum schweißt hier wie an anderen Orten zusammen; die Stimmung unter den Nachbarn beim Grillfest ist bombe.
Oft geht es um Leerstände, die es ja zu Hauf gibt im Ruhrgebiet; etwa die alte Hauptschule Bärendelle in Essen-Frohnhausen. Viel besser als Verwahrlosung und Abriss wäre doch ein Kulturzentrum, findet die Bürgerinitiative, die sich nach der Besetzung formierte. Es ist einfach was anderes, einen eigenen Ort zu gestalten, in dem man seine Projekte entwickeln kann als ein fertiges Ding vom Planungsamt hingestellt zu bekommen.
So gewinnt man durch „Das Gegenteil von Grau“ tatsächlich einen prima Überblick über die quirlige Szene, und der Film bemüht sich, die positive Stimmung nach vorn zu stellen, die von diesen – zum Großteil neuen – Aktionen ausgeht. Die MacherInnen betonen ihren Wunsch, gängige Ruhrpott-Klischees vermeiden zu wollen. Und so ging es in der Debatte nach dem Film los mit der Frage, was denn überhaupt typisch für das Ruhrgebiet sei. Einig ist man sich, dass ein munterer Blick nach vorn der Region gut täte. Der Berliner Cutter Grischa Dallmer findet „das Vorurteil, dass im Ruhrgebiet nix geht, völlig falsch.“ Ganz im Gegenteil: Anders als in München oder Berlin seien die Ressourcen enorm, etwa Leerstände für potentielle künstlerische und soziale Projekte. „Man kann hier eine Menge machen“, so Volker Wilke aus Oberhausen, „aber es interessiert niemanden. Dass keine Resonanz kommt, ist für KünstlerInnen im Revier frustrierend.“ Andere AktivistInnen im Saal beklagen die Zähigkeit, mit der die Stadtverwaltungen auf ihre Anliegen (nicht) reagieren: Zwar gäbe es viel Raum, aber unkonventionelle Initiativen würden oft überhaupt nicht verstanden und müssten sich permanent rechtfertigen. Besonders extrem sei die Situation in Duisburg, wo seit den tragischen Ereignissen der Love Parade noch immer eine Art Schockstarre vorzuherrschen scheint. Man darf sich zudem wünschen, dass die seit Jahren etablierten, alternativen Projekte mit mehr Neugier und Offenheit auf die neuen Initiativen zugehen.
Medienaktivist Matthias Coers findet, dass die Zeit reif ist, für neue Freiräume im Ruhrgebiet zu kämpfen. Und schon meldet sich ein Zuschauer zu Wort, der Interessierte einlädt, beim neuen Gemeinschaftgarten in Bochum-Langendreer mitzumachen: „Wer Bock hat zu gärtnern, ist herzlich eingeladen.“ Und wer Bock hat, „Das Gegenteil von Grau“ in seinem Kiez zu zeigen und zu diskutieren, kann sich an das Team wenden und selbst eine Veranstaltung organisieren.
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