„Gehe hin und bilde“, sprach der Eremit, und Mathis, der bildende Künstler, malte – im Wortsinn um sein Leben. Denn als sein Werk vollbracht ist, ist auch Mathis‘ Lebenskraft verbraucht. Der Künstler kann nur noch sterben. Doch ist er auch erlöst? Das Stück lässt die Antwort offen. Trost vermochte Komponist und Librettist Paul Hindemith nicht zu spenden. „Mathis der Maler“ ist am Musiktheater im Revier zu sehen – eine echte Rarität.
Intendant Michael Schulz hat das Reformationsjubiläum zum Anlass genommen, das Stück in sieben Bildern in Szene zu setzen. Denn der Protagonist ist der Maler Matthias Grünewald, der in den 1520er Jahren den weltberühmten Isenheimer Renaissance-Altar malte. Über ihn ist überliefert, dass er mit den Bauern sympathisierte, die sich im Sog der Reformationsbewegung gegen Adel und Klerus erhoben hatten. Hindemith sah sich als Künstler im Deutschland der 1930er Jahre in einer ähnlichen Situation wie Mathis während der Bauernkriege: ein Schöngeist, der sich angesichts von Gewalt und Unrecht fragt, ob Kunst als Form des Widerstands ausreichen kann. Tatsächlich war Hindemith selbst dieser Weg schnell verbaut. Die für 1934 geplante Mathis-Uraufführung wurde von den Nazis verboten und fand erst vier Jahre später in der Schweiz statt, wohin auch der Komponist emigrierte. Der Protagonist seiner Oper kommt durchaus mit dem Krieg in Kontakt und muss erfahren, dass eine gerechte Sache nicht zwangsläufig in einen gerechten Kampf führt.
Schulz gelingt als Regisseur, was oft zu sehen ist, aber selten überzeugt: eine gewisse Zeitlosigkeit. Bei diesem Mathis funktioniert sie. Die Ausstatterinnen Heike Scheele (Bühne) und Renée Listerdal (Kostüme) mischen sehr kreativ Sakralarchitektur aus der Reformationszeit mit modernen Kostümen, die ins 20. und 21. Jahrhundert passen. Dazu kommen noch Zitate moderner Kunst, welche nur teilweise funktionieren. Ist die Farb-Performance mit dem markanten Yves-Klein-Blau noch selbsterklärend, so gerät eine Tortenschlacht, die an die „Eat-Art“ des Schweizers Daniel Spoerris verweist, doch arg erklärungsbedürftig.
Hindemiths Musik verlangt vom Zuhörer wie von den Aufführenden gleichermaßen hohe Konzentration. Es ist eine komplexe, sehr intelligent gemachte Musik, in der sich barocke und noch ältere Lied- und Choral-Formen wiederfinden. Dirigent Rasmus Baumann hat große Sorgfalt in die Details dieser meist auf Durchsichtigkeit bedachte und doch mitunter auch sehr kraftvolle Partitur investiert. Den Sängern verlangt das immer wieder viel Kraft ab. „Mathis“ Urban Malmberg bringt das schonmal bis an die Grenze, doch er kann das mit seinen lyrischen Qualitäten durchaus wettmachen. Yamina Maamar überzeugt als Ursula mit großer Stimme, neigt allerdings auch zu starkem Vibrato. Sehr gradlinig und präsent wirken Martin Homrich als Albrecht und Tobias Haaks als Bauernführer Schwalb. Bele Kumberger strahlt mit glasklarem jugendlichen Sopran als Regina.
„Mathis der Maler“ | R: Michael Schulz | So 10.12. je 18 Uhr, Sa 30.12. 19.30 Uhr | Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen | www.musiktheater-im-revier.de
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