Grönemeyer sang zur Eröffnung für das Ruhrgebiet, natürlich über das Ruhrgebiet. Symphonisch war der Song aufgeblasen, mit Chor und Orchester, ergreifend sein Bekenntnis, wie super alles im Pütt ist – wenn man privat zwischen London und Berlin twistet. Dass hier auch musikalisch der Hammer nicht ganz sauber getaktet ist, darüber erzählen die Leuchttürme des Musikpfads durch das schöne Jahr als europäische Kulturhauptstadt: Es liest sich wie eine Schadensbekämpfung. „Jedem Kind ein Instrument“, eine Bochumer Initiative, wird landesweit ausgedehnt. In China, wo mittlerweile Stahlöfen aus dem Pott produzieren, üben in diesem Moment wahrscheinlich zehntausende neue Lang Lang-Clone auf Billigklavieren. In NRW sollen langfristig 175.000 Grundschüler mit Geigen, Hörnern, Mandolinen oder türkischen Baglamas aufgerüstet werden – eine Großoffensive. Und die Kids müssen ja auch noch unterrichtet werden. Das erledigen die 40 kommunalen Musikschulen, die das Projekt unterstützen: Bei der Klassendichte können dann auch in sibirischen Wintern die Heizungen in den Klassenräumen ausgestellt bleiben.
In Gütersloh 1926 geboren, der Opa fuhr noch persönlich ein, die Mutter kam aus Witten: Kerndaten zu Deutschlands meistgespieltem zeitgenössischen Komponisten Hans Werner Henze. Der Klüttenkopp lebt allerdings seit Jahrzehnten in Italien. Für das Auftragswerk, eine Oper, lässt sich der Komponist Jahrgang 1926 von den Industriespielstätten inspirieren. Inszeniert wird das Werk zur RuhrTriennale – das mischt sich sehr schön. Sein bestehendes Werk wird alle Spielstätten überfluten, und die jungen Zuhörer sollen dabei von der Neuen Musik begeistert werden – Henze hatte immer ein Herz für Kinder. Ein ganzes Programmbuch fasst die Aktivitäten zusammen.
Nicht nur in der Oper wird gesungen. „Polyphonie – Stimmen der kulturellen Vielfalt“ bündelt die Stimmkraft älterer Migrantinnen und Migranten zur kulturellen Vielfalt der Region. „Ein guter Gesang wischt den Staub vom Herzen“, hat ein Heimatdichter gesungen. „!Sing – Eine Metropole singt!“ lässt singen, singt selbst und verführt zum Mitsingen – auch ohne Staub. 270.000 Frauen und Männer besuchen regelmäßig Chorgemeinschaften in NRW. Das klingt gewaltig, besonders, wenn alle zusammen singen. Im Baltikum gibt es noch Chorfeste in speziellen Chorstadien mit 100.000 Sängern, dort gehört das Volkslied zum Alltag, selbst in Revolutionstagen. Der 5. Juni wird im Ruhrgebiet der „Day of Song“, dann wird selbst die Aufführung von Mahlers „Sinfonie der Tausend“ verblassen. Ansonsten gehen die Konzerte ihren natürlichen Lauf. Alles, was tönt, erhält den Hauptstadt- Stempel. „Musik in den Häusern der Stadt“ schaltet um auf Hausbesuche, die private Salonkultur soll wieder belebt werden. „Europa in Takt 2010“ steht für Inklusion von Menschen mit Behinderung.
Aber stehen die Musiksäulen der Kulturhauptstadt Ruhrgebiet irgendwie auch auf Inklusion, nämlich von Zaungästen, zumindest von NRW? Absolut nicht. Das Ruhrgebiet beschäftigt sich in den angesprochenen Leuchttürmen ausschließlich mit sich selbst. Und das ist vielleicht genau der Sinn dieses subventionierten Ehrentitels: Stärkung der Region durch Investition in die eigene Zukunft. Noch ein Musikfestival braucht nämlich in der Region niemand.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Sinfonische Vollender
Gil Shaham in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 11/24
Aus Alt mach Alt
Tage Alter Musik in Herne 2024 – Klassik an der Ruhr 11/24
Weiblicher Beethoven
Emilie Mayers 5. Sinfonie im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 10/24
Ein Himmel voller Orgeln
Zwei Orgelfestivals in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 10/24
Mit virtuoser Blockflötistin
33. Festival Alte Musik Knechtsteden in Dormagen und Köln – Klassik an der Ruhr 09/24
Nach François-Xavier Roth
Der Abgang des Kölner GMDs sorgt für Umbesetzungen – Klassik am Rhein 09/24
Barock und Filmmusik
Open-Air-Konzerte „Viva Italia!“ im Ruhrgebiet – Klassik an der Ruhr 08/24
Exotische Musik
„Sounds of Nature“ und „Diálogos de amor“ beim Niederrhein Musikfestival 2024 – Klassik am Rhein 08/24
Akademische Bürgernähe
Michael Ostrzyga dirigiert „Elias“ in Bergheim und Köln – Klassik am Rhein 07/24
Pop-Hit trifft düstere Rarität
Semesterkonzert an der RUB – Klassik an der Ruhr 07/24
Bruckners „verfluchte“ Neunte
„Von Herzen – Letzte Werke“ in Bochum – Klassik an der Ruhr 06/24
Mit Hochdruck bei der Arbeit
Die Orgelfeierstunden im Kölner Dom – Klassik am Rhein 06/24
Träume aus alten Zeiten
Zamus: Early Music Festival 2024 in Köln – Klassik am Rhein 05/24
Ungewünscht brandaktuell
Auftakt zum Klangvokal Festival Dortmund 2024 – Klassik an der Ruhr 05/24
Wiederentdeckt
Werke von Amerikas erster schwarzer Klassikerin in Essen – Klassik an der Ruhr 04/24
Orchester der Stardirigenten
London Symphony Orchestra in Köln und Düsseldorf – Klassik am Rhein 04/24
Blickwechsel in der Musikgeschichte
Drei Spezialisten der Alten Musik in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/24
Spiel mit den Elementen
Alexej Gerassimez & Friends im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/24
Temperamentvoller Sonntag
Bosy Matinée mit Asya Fateyeva und Gemma New in Bochum – Klassik an der Ruhr 02/24
Hellwaches Monheim
Das Rheinstädtchen punktet mit aktueller Kultur – Klassik am Rhein 02/24
Abenteuerliche Installation
„Die Soldaten“ in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 01/24
Keine Grenzen
Philharmonix in Dortmund und Düsseldorf – Klassik an der Ruhr 01/24
„Herrliche Resonantz“
Avi Avital in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 12/23
Mit Micky Maus am Dirigierpult
Elim Chan und das Antwerp Symphony Orchestra in Dortmund – Klassik an der Ruhr 12/23
Musik aus drei Jahrhunderten
Quatuor Modigliani in der Philharmonie Köln – Klassik am Rhein 11/23