San Diego, 1966. Frankie McGrath folgt ihrem Bruder in den Vietnamkrieg. Sie ist Krankenschwester, doch auf den Einsatz im Feldlazarett nur dürftig vorbereitet. Ihr erster Tag bringt massenhaft Verletzte, sie fühlt sich im OP nutzlos. Erst mit der Zeit lernt sie dazu und gewinnt an Selbstvertrauen. Die naive 21-Jährige, die sich freiwillig gemeldet hatte, gibt es irgendwann nicht mehr. Frankie ist stolz, ihrem Land zu dienen, und entscheidet sich für eine weitere Stationierungszeit, auch in dem Wissen, dass ihr Bruder gefallen ist. In der schlammigen und blutigen Hölle des Evakuierungskrankenhauses verliebt sie sich in ihren OP-Chef.
Was eine vorhersehbare Liebesgeschichte sein könnte, ist ein mit Bedacht geschriebener Beitrag zur Würdigung der Leistung von Frauen, die oft vergessen oder negiert wurde. Die Autorin löst die Spannung zwischen der Protagonistin und ihrem OP-Chef nicht durch eine Affäre, sondern beschreibt, wie die junge Frau sich alleine bewährt. Es sind immer wieder andere Frauen, die ihr mit bedingungsloser Kameradschaft zur Seite stehen.
Frankie ahnt nicht, dass sie die neuen Freundinnen nach der Rückkehr in die USA noch dringender benötigen wird. Schließlich geht es im Roman nicht nur um eine Frau, die in den 60er Jahren einen untypischen Weg einschlägt, sondern auch um die Geringschätzung, die sie dafür erfährt. An der „Heldenwand“ ihres Vaters hängen Militärfotos mehrerer Generationen von Männern – und Hochzeitsfotos von Frauen. Der Vater reagiert auf den Entschluss seiner Tochter, in Vietnam zu dienen, mit einer Lüge: Bei ihrer Rückkehr stellt sie fest, dass er allen Bekannten erzählt hat, sie studiere im Ausland. Noch dazu ist die Stimmung vielerorts in eine Ablehnung des Krieges umgeschlagen, immer mehr Berichte bringen Vergehen der US-Soldaten ans Licht. Frankie kämpft nun nicht nur darum, wieder in der „normalen“ Welt anzukommen, sondern fragt sich auch, ob sie einer falschen Sache gedient hat. Ihr Selbstwertgefühl gerät ins Schleudern, Erinnerungen an Vietnam holen sie ein – in einer Zeit, in der eine Posttraumatische Belastungsstörung noch keine anerkannte Diagnose ist und die meisten Menschen ohnehin denken, dass es „in Vietnam keine Frauen gab“.
Kristin Hannah: Die Frauen jenseits des Flusses | Aus dem Amerikanischen von Christine Strüh | Aufbau Verlage: Rütten & Loening | 542 S. | 22 Euro
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