Das grelle Licht dringt unregelmäßig flackernd durch meine Augenlider. Wo bin ich? Schützend lege ich eine Hand über meine Augen, die ich langsam öffne. Langsam gewöhne ich mich an die Lichtverhältnisse. Dass die in die abgehängte Decke eingelassene Leuchtstoffröhre über mir nun in einer langsameren Frequenz flackert, hilft ein wenig dabei. Ich erkenne merkwürdige Apparaturen um mich herum. Erst denke ich, dass da neben mir HiFi-Anlagen aufgebaut sind, dann merke ich aber, dass es irgendwelche fremden Apparate sind. Kabel sind eingesteckt, Schläuche führen hinaus. Daneben ein weiterer Wagen mit lauter Schubladen. Auf dem metallenen Tablett, das den Schubwagen oben abschließt, liegen einige längliche Gegenstände neben blutbefleckten Gummihandschuhen. In die Wand mir gegenüber ist eine Reihe schmaler Schränke verbaut. Manche stehen offen und offenbaren den Blick auf einen Staubsauger – und grüne Kittel. Es dämmert mir. Ich bin in einem Krankenhaus. Einem irgendwie desolaten Krankenhaus. Und offensichtlich ganz allein.
Dennoch bin ich für einen kurzen Moment verwirrt, als ich bemerke, dass ich am Körper nur so einen dieser merkwürdigen Krankenhaus Cape-Leibchen-Hybriden trage. So ein Laken, das hinten, nun, den Toilettengang erleichtert. Was ist geschehen? Ich streiche über eine staubbedeckte und dreckverkrustete Tischoberfläche. Warum bin ich hier, in einem Hospital, das aussieht, als ob es von einer Horde Zombies überrannt wurde? Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass dieses Virus … oh Kacke … ich ahne nichts Gutes.
Wie auf Kommando ertönt ein Stöhnen auf dem Flur, gefolgt von einem Schlurfen. Die dicke, breite Tür zum dunklen Korridor steht offen. Der Zombie wird mich unweigerlich sehen müssen, wenn er sich vorbeischleppt. Oder wittern. Oder wie auch immer lebende Tote ihre Beute ausfindig machen. Die Schränke sind zu schmal, darin kann ich mich nicht verstecken. Das Fenster! Ich muss durch das Fenster hinaus! Kaum habe ich mich umgedreht, gibt es einen Schrei hinter mir. Danach ein Klirren. Hat der Zombie wohl mehr Angst vor mir als ich vor ihm? Ich wende mich wieder zurück.
„Alter, hast du mich erschreckt!“ In der Tür steht ein unrasierter Typ mit Dreadlocks und Morgenmantel, der sich gerade an die Brust fasst. Zu seinen bepantoffelten Füßen liegen Scherben einer Kaffeetasse. „Aber jetzt, da du auch wach bist“, fährt der Typ fort, „willst du sicher auch einen Kaffee, wa?“
Etwas später sitzen wir im Flur auf den an die Wand montierten Plastikschalen, die eine Bank darstellen sollen. Ein laut brummender Knabberkramautomat spendet uns kaltes Licht. „Habe ich dich richtig verstanden?“, frage ich den Typen, der sich mir als David vorgestellt hat. „Du sagst also, dass dieses Cronenberg-Virus, oder wie das hieß, fast alle Menschen dahingerafft hat?“
„Nein, nein. Es war die Willfährigkeit der Leute“, erklärt David und nimmt einen Schluck Automatenkaffee. „Um die Pandemie einzudämmen, wurde europaweit Hausarrest verhängt. Nur Leute aus dem Einzelhandel durften raus. Und ein Mal die Woche durften alle anderen auch zum Einzelhandel hin. Sonst wäre das ja sinnlos. Und die Schlägertrupps.“
„Was für Schlägertrupps?“ Ich war froh, dass der Kaffeeautomat ging und wunderte mich kurz darüber, warum eigentlich.
„Na die, die diejenigen zusammenschlagen durften, die sich unbefugt draußen aufgehalten haben.“
„Oh. Verstehe“, sagte ich und verstand nichts. „Und warum steht dieses Krankenhaus dann leer?“
„Die Ärzte und Ärztinnen, Pfleger und Schwestern mussten natürlich auch weiter zur Arbeit. Erst dachte jeder, sie wären auch ‚systemrelevant‘. Als man aber gemerkt hat, dass das System ein paar tote Alte verkraftet, hat man von einem Tag auf den anderen das Gesundheitssystem komplett privatisiert. Medizin nur für die, die es sich leisten können. Spitäler wurden geschlossen, so wie auch dieses hier. Die Arbeitskräfte sind in private Betriebskliniken abgewandert.“
„Das ist ja entsetzlich! Und was hat es jetzt mit der Willfährigkeit der Leute auf sich?“
„Die Leute blieben zu Hause, komme, was wolle. Es war ja das einzig Richtige. Die Regierung hat es ja gesagt.“
„Aber hatten die Leute denn kein Bedürfnis nach Unterhaltung? Oder nach Nähe? Also nicht nur körperlich, sondern auch so sozial …“ Ich dachte daran, wie ich als Jugendlicher auch meine halben Ferien alleine vorm Rechner verbracht habe. Aber irgendwann musste man sich dann doch mit seinen Kumpels treffen. Der Mensch braucht den Austausch. Gemeinsam Lachen. Philosophieren. Oder dummschwätzen. Wobei wir meistens das eine für das andere halten und umgekehrt … Und ich glaube, nicht nur Pubertierenden fällt es schwer, ständig die Familie um sich zu haben. Sonst wird man doch blöde.
„Wer solche Bedürfnisse hat, hat bloß keinen Anstand, hieß es. Oder Verstand. ‚Das gottgegebene Recht auf Fußball, Karneval und Biergarten‘, wurde da gespottet. Wer sich der Ausgangssperre nicht freiwillig unterwarf, wurde schließlich dazu gezwungen. Und was mit denen geschah, die es wagten, die Ausgangssperre zu durchbrechen, das habe ich dir bereits erzählt.“ Er verzerrt sein Gesicht mit einer Faust, um die Gewalt zu symbolisieren. Immerhin gab es diese Schlägertrupps, denke ich mir. So öde hatte ich mir die Apokalypse nicht vorgestellt. Der Virus verwandelt einen auch nicht in ein Monster wie aus einem Cronenberg-Film, sondern heißt Corona und macht so eine Art Lungenentzündung.
David fuhr fort: „Und wer allein die Chuzpe hatte, auch nur die Quarantäne zu hinterfragen …“, er sagte das in einem spöttischen Tonfall, „… der wurde direkt für den Tod unzähliger Menschenleben verantwortlich gemacht.“
Ich hielt das für verrückt und drückte das auch aus: „Das ist doch verrückt!“
„Natürlich ist es das. Diejenigen, die ohnehin so langweilige, einsame Leben haben, dass sie ihr Haus nicht verlassen müssen, haben die soziale Kontrolle übernommen. Auch paradox, was? Die anderen Menschen begannen also, verrückt zu werden. Vor Angst. Aus Lagerkoller. Aus Bewegungsmangel und wegen zu wenig Frischluft. Sie gingen ein ohne Kultur. Das Internet kann nicht alles ersetzen.“
„Ist es allen so gegangen?“ Ich habe keinen Kaffee mehr. Und ich befürchtete, dass es mit den vernünftigen Menschen genauso mau aussieht.
„Nein. Die geistig Gesunden suchten Zuflucht in den leerstehenden Krankenhäusern. So wurden aus Krankenhäusern Gesundenhäuser.“
Ich beachte seine schlechte Wortspielerei nicht. „Dann gibt es also mehr von uns hier? Wie viele Nichtverrückte gibt es hier? Und …“ Ich bemerke, dass ich Hunger bekomme. „… was esst ihr hier eigentlich?“
„Nein“, sagt David auffällig ruhig. „Es gibt hier nur einen, der bei Verstand ist.“ Dann schaut er mir tief in die Augen. „Und was das Essen angeht: Warum, glaubst du, bist du hier?“ Dann bricht er in manisches Gelächter aus.
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verbraucherzentrale.de/wissen/gesundheit-pflege/aerzte-und-kliniken/so-finden-sie-das-geeignete-krankenhaus-10410 | Leitlinien der Verbraucherzentralen für die Krankenhaussuche.
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