Die Komische Kunst ist um einen ganz Großen ärmer. Unser langjähriger Cartoonist, der einen Stammplatz auf der Seite „Zuletzt gelacht“ hatte, ist am 2. Juni nach schwerer Krankheit verstorben. André Poloczek, bekannt und beliebt unter seinem Künstlernamen POLO, wurde nur 62 Jahre alt. Im trailer-Magazin veröffentlichte POLO im Laufe vieler Jahre mehrere hundert Cartoons.
„Du spinnst wohl!“ hieß es in einem der zahlreichen Kommentare, nachdem sein für viele überraschender Tod auf POLOs Facebookseite bekannt gegeben worden war. Ein Kommentar, der im ersten Augenblick unangemessen erscheint. Es war jedoch eine Verneigung vor dem Werk des Cartoonisten, das kurz vor seinem Tod noch unter genau diesem Titel in der Caricatura Galerie für Komische Kunst in Kassel in einer großen Ausstellung geehrt wurde. „Du spinnst wohl!“ ist die der Ausstellung titelgebende Sprechblase aus einem Cartoon, in dem der Sensenmann auf einer Wolke vor Gott steht. Mit einem ungläubigen Blick und besagtem Zitat erwidert der Allmächtige die Frechheit des Schnitters. Somit wird Gott in POLOS Zeichnung zutiefst menschlich: Wir alle können den Tod nicht fassen. Nach den Verlusten von Uli Stein, Andreas Prüstel und Martin Perscheid hat die Komische Kunst in relativ kurzer Zeit nun auch mit dem viel zu frühen Verlust von POLO zu kämpfen.
Die genannte Ausstellung sollte laut Martin Sonntag, dem Leiter der Caricatura Galerie, bereits zu POLOs sechzigstem Geburtstag eröffnet werden. Wie so vielem machte die Corona-Pandemie diesem Plan einen Strich durch die Rechnung. Zwei Jahre später sollte es dann so weit sein, doch für POLO leider schon zu spät. Krankheitsbedingt konnte er weder zur Eröffnung, noch zu anderen Veranstaltungen rund um seine Werkschau kommen. Selbst Videos und Fotos seiner Ausstellung konnte er nicht mehr richtig ansehen, da seine Sehkraft bereits beeinträchtigt war. Kurz nach dem Abbau der Ausstellung verstarb POLO. Das ist besonders tragisch, da er mir schon vor mehr als drei Jahren erzählte, wie sehr er sich auf seine Ausstellung freute. Als Cartoonist und Kollege weiß ich, dass eine Einzelausstellung in der Caricatura für einen Cartoonisten oder eine Cartoonistin wie eine Aufnahme in die Rock´n´Roll Hall of Fame für einen Musiker ist. Vielleicht ist es ein Trost, dass er wenigstens noch mitbekommen hat, dass es diese Ausstellung ihm zu Ehren gab.
Nicht nur der künstlerische, auch der menschliche Verlust wiegt schwer. Seine Kolleginnen und Kollegen fragten auf Branchentreffen wie der Buchmesse, Ausstellungen oder bei Karikaturenpreisen stets, ob denn POLO auch käme. Gute Laune und lange Abende waren mit ihm garantiert. Legendär sind seine Imitationen der Geräusche von Kaffeemaschinen, die er zur Belustigung aller nachmachte und es damit sogar abseits seines künstlerischen Schaffens einmal ins Fernsehen schaffte.
POLO hatte aber auch eine andere Seite, jenseits der Komik und Geselligkeit. Er war ein vielseitig von der Kunst getriebener und nachdenklicher Mensch, der immer für eine Diskussion zu haben war. Für seine Freunde hatte er rund um die Uhr ein offenes Ohr. Dabei musste es nicht unbedingt harmonisch zugehen. Das Besondere an POLO war, dass man auch hervorragend mit ihm streiten konnte. Dabei blieb er immer fair am Thema und offen für alle Seiten, ohne dass es die Freundschaft negativ beeinflusst hätte. Telefonate mit ihm dauerten oft länger als die Akkulaufzeiten eines Telefons. Weitaus später konnte es noch werden, wenn der Gastgeber im Herzensmenschen POLO loslegen durfte. Unvergessen ist die Buchparty zum Erscheinen einer Anthologie mit Bier-Cartoons, die er herausgab. Die Party endete bedingt durch die Öffnungszeiten des Brauhauses nach Überzeugung einiger Beteiligten viel zu früh. Kurzerhand wurde die Feier in POLOs Küche verlagert, wo es zu später Stunde ein Wunder war, dass die Polizei nicht kam. Denn POLO drückte sich nicht nur selbst eine seiner zahlreichen Gitarren in die Hand, sondern auch einem Teil seiner Gäste, von dem er wusste, dass er spielen kann. So saßen dann POLO, der Musiker Alexx Marrone, Martin Perscheid und ich mit Gitarren beisammen bis es draußen wieder hell wurde.
Er zeichnete nicht nur, er lebte Cartoons. Als großer Verehrer von F.K. Waechter und F.W. Bernstein konnte er sich der Theorie zu Humor und Strich hingeben und vermittelte das auch dem Nachwuchs: Zusammen mit seinem Freund und Weggefährten Ari Plikat als Leiter der Sommerakademie der Caricatura oder später als Dozent fürs Cartoonzeichnen an der Junior Uni Wuppertal. Selbst als Dozent hörte er nie auf zu lernen. Er liebte die von Bernstein gegründeten Zeichnerseminare in Rendsburg, bei denen er mit geschätzten Freunden und Kollegen eine Woche lang zeichnen und Wissen aufsaugen konnte. Noch heute zitiert Ari Plikat in diesem Kontext das eintägige Blauverbot, das zu einem geflügelten Wort geworden ist. POLO bekam dieses Verbot von Bernstein auferlegt, nachdem er ein sehr grelles Blau zu oft exzessiv in seinen Zeichnungen benutzt hatte.
POLO gab seine umfassenden Kenntnisse gerne weiter und hatte eine soziale Ader mit einem großen Gerechtigkeitssinn. Seine ersten Cartoons wurden 1978 veröffentlicht und somit erlebte POLO noch die guten alten Zeiten, in denen die Kunst, auch die komische, noch deutlich besser bezahlt wurde als heutzutage. Sinkende Honorare akzeptierte er nicht stillschweigend, sondern setzte sich für sich und andere für angemessene und faire Bezahlung ein. Ein Kampf, den es in seinem Sinne weiterzuführen gilt.
POLO war Wuppertaler durch und durch. 1959 wurde er dort geboren. Er gab zwar von 1970 bis zu seinem Abitur ein kurzes Gastspiel in Haltern am See, aber zum Studium zog es ihn bereits wieder in seine Heimat. Als Mann mit vielen Talenten schrieb er, fotografierte und zeichnete Cartoons für Wuppertaler Zeitungen und Magazine. Später griff die WZ regelmäßig auf seine Fähigkeiten als Zeichner zurück und lobt „sein Talent, sein[en] Humor [und] seine Lokalkompetenz“. Sein umfangreiches Wissen und seine Liebe zu Wuppertal schlagen sich auch seinem Herzensprojekt „Engels-Gesichter“, einem Buch zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels, nieder, einem Filmprojekt über Wuppertal Barmen oder zahlreichen Ausstellungen in Wuppertal, die er auch organisierte, um geschätzte Freunde in seine Stadt zu holen und deren Arbeiten auszustellen.
POLO ist über die Stadtgrenzen durch zahlreiche Veröffentlichungen in Büchern, Zeitungen und Magazinen bekannt geworden. Unvergessen sind zwei Klassiker aus seiner Feder, die in zahlreichen Haushalten als Blechschild oder Postkarte hängen: die Eier aus Bodenhaltung oder das Schild, das einer Katze deutet, wie man das Katzenklo richtig zu nutzen hat. Zugegeben gehen beide Cartoons im wahrsten Sinne des Wortes etwas unter die Gürtellinie, aber POLO war ein Vertreter der leisen Töne und des feinsinnigen Humors. In seinen Witzen nach unten zu treten, entsprach nicht seinem humanistischen Geist, Zynismus musste man bei ihm auch mit der Lupe suchen. Sein Humor hatte stets etwas Versöhnliches und so wundert es auch nicht, dass er am Ende seines Lebens alles andere als verbittert resümiert: „Mein Leben war auf luxuriöse Art selbstbestimmt und glücklich. Die beste Zeit meines Lebens war mein Leben.“
Zur besten Zeit meines Lebens gehörten auf jeden Fall auch die gemeinsamen Stunden mit Dir, lieber POLO.
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