Eine der wenigen Freuden des Schreibens über Popmusik ist das Entdecken neuer Genres. Im schlechtesten Fall versackt die Genre-Neuentdeckung zwischen Fanforen und kurzlebigem Bloggerspott, im besten Fall überdauert der Begriff die Musik, für die er geprägt wurde. Ärgerlich ist es nur, wenn uns selbstermächtigten Popdiskurshütern jemand beim Genre-Taufen zuvorkommt. Rick McPhail ist so einer. Eigentlich spielt er Gitarre bei Tocotronic, aber irgendwann im Jahr 2007 plauderte er in einem Interview über „Adult-Oriented-Indierock“ und brachte damit eine etwas unangenehme Wahrheit auf den Punkt. Denn wenn man ehrlich ist: Eigentlich ist jeder Indierock mittlerweile „adult-oriented“. Da kann man noch so sehr berufsjugendlich in die Gitarren wimpen wie z.B. Sebadoh auf ihrem letzten Konzert in Köln, wenn das Publikum eher an eine Ü30-Party erinnert (also um die 40 ist), darf man den dargestellten Gefühlszuständen gewisse Performance-Qualitäten nicht absprechen.
Nun ist eine verlustig gegangene Authentizität ja nicht unbedingt die schlechteste Voraussetzung für gute Kunst. Auch der Adult-Oriented-Indierock macht da keine Ausnahme. In Köln kann man das dieser Tage wieder sehr nett beobachten. Mitte Dezember findet wieder das Week-End-Festival statt. Bei der Erstauflage am Ring im Jahr 2011 durften Thurston Moore und Jochen Distelmeyer ihre eigene Version des Alterns im Indierock auf die Bühne tragen. Im letzten Jahr war dann Green Gartside von Scritti Politti an der Reihe, der es dank einer semiotischen Grundausbildung mit dem Erwachsenwerden etwas leichter hatte als Stephen Malkmus, der den Abschied vom smarten College-Radio-Liebling durch ein Re-Enactment des legendären Can-Albums „Ege Bamyati“ mit vielleicht etwas zu viel pubertärem Rebellentum zelebrierte.
Auch dieses Jahr treffen wieder zwei Modelle des Erwachsenseins im Indierock aufeinander. Auf der einen Seite stehen die Traditionalisten, die auch im fortgeschrittenen Alter nicht bereit sind, einmal gewonnene Einsichten aufzugeben, zumal sie sich ja als richtig erwiesen haben. Dazu gehört Mark E. Smith, der dauergrantelnde Self-Made-Dichter aus Manchester, der seinen weltzugewandten Zynismus auch nach dreißig Jahren Bandgeschichte in kryptische Texte verfasst. Auch The Pastels arbeiten seit Anfang der Achtziger an ihrer eigenen Mischung aus wohltemperierten Bläsern, sanft herumschrammelnden Gitarren und hauchzartem Twee-Gesang, die bis heute als Gegengift zum Alpha-Männchen-Tum dringend notwendig ist, gerade weil letzteres auch die Erschöpfung und den Burn-Out noch als leistungsgerechte Entlohnung für sich vereinnahmt. Auf der anderen Seite stehen die Lernbegierigen, die das Band-Shirt-Korsett irgendwann verlassen, weil es zu sehr spannt. Grant Hart, der ehemalige Drummer von Hüsker Dü, hat gerade ein Konzeptalbum über John Milton vorgelegt. Und Robert Forster, übriggebliebenes Mitglied der Go-Betweens, überträgt seine kompositorischen Talente von der Gitarre auf ein Streichquartett, weil er es halt eh kann. Und dann gibt es uns – die Indie-Adults, die im Publikum stehen, bemerken, dass alle anderen auch die Dreißig lange hinter sich gelassen haben und sich trotzdem drüber freuen, dass vorne auf der Bühne nicht die Musik unserer Jugend läuft. Sondern die unserer Lebensmitte.
Week-End-Festival | 13./14.12. Stadthalle | Köln-Mülheim | www.weekendfest.de
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