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„Kompositionen sind entscheidender als die Technik“

29. November 2018

Oliver Bartkowski von Bergmann & Bartkowski über „Skull City“ – Interview 12/18

trailer: Oliver, wie muss man sich das Haus eines Komponisten vorstellen, der sich so tief vor dem Kino der 80er verneigt? Regalmeter voller alter Actionreißer auf VHS-Video im Original?
Oliver Bartkowski: Da liegst du völlig falsch. Das Haus ist gemütlich modern und tatsächlich streame auch ich Filme und Serien bei Netflix oder Amazon. Erhalten habe ich mir ein kleines Kino, in dem echte Blu-rays oder DVDs zum Einsatz kommen. Sogar von neuen Filmen.

Aber inhaltlich genießt du im Vergleich zu heute die sehr überschaubare Komplexität der 80er-Jahre-Filme?
Technisch sind wir in unserem Studio voll auf dem Laufenden. Üblicherweise schreiben wir hochkomplexe Soundtracks, wie man etwa am Album „Heaven’s Sapphire“ hört. Da tut es gut, mal etwas zu machen, an dem das Herz tausendprozentig hängt und zwar in dem Sinne, dass es dafür keinen Auftrag gegeben hat. Es ungefragt durchzuziehen und zwar genau so, wie wir uns heute die Musik solcher alten Filme mit den Mitteln der Gegenwart vorstellen. Dennoch, Oliver, unterliegst du einem Irrtum, wenn du glaubst, „Skull City“ wäre einfach zu schreiben gewesen. Kompositionen und Melodien sind entscheidender als die Technik, und egal, ob Retro oder Gegenwart – die musst du erst mal finden.

Da hast du mich missverstanden. Nicht die Musik der alten Zeiten war unterkomplex, sondern die schlicht gestrickten Handlungen im Vergleich zu den modernen Narrativen.
Das stimmt. Allerdings steckte in der Einfachheit der Drehbücher und der Bildsprache von früher auch eine gelassene Größe. Ganze Themenfelder und Erzählrhythmen sind aus dem Kino verschwunden. Das Remake von „Ein Mann sieht rot“ mit Bruce Willis war 2018 auf der großen Leinwand völlig verloren.

Oliver Bartkowski
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Zur Person:
Oliver Bartkowski betreibt die PR-Agentur Wunderbar, moderiert den „Bermuda Talk“, gibt das Magazin „Bochum macht Spaß“ heraus und komponiert Soundtracks aller Art. In der Hochphase der Musik- und Kinoindustrie sowie der klassischen Diskotheken war er Marketingmanager und DJ.

Woran liegt das?
Das junge Publikum ist durch effektvolle Videospiele eine andere Bildsprache gewohnt. Niemand lässt die Kamera mehr zehn Sekunden lang eine Uhr zeigen und danach den Helden erst mal in Ruhe eine Zigarette anzünden. Alles muss schnell gehen. Bei einer modernen Serie auf Netflix passiert so viel, dass du keine Folge verpassen darfst.

Weil über Jahre hinweg eine große Geschichte erzählt wird statt jede Woche eine  geschlossene Episode. Das ist doch positiv im Sinne von mehr Aufmerksamkeit und Geduld.
Es hat beides seine Qualität. Gut gelungen ist es bei „The Purge“. Die Kinofilme sind schnell und hart, die Serie lässt sich Zeit, die Charaktere zu erkunden.

„The Purge“ erzählt von einem dystopischen Amerika, in dem einmal pro Jahr straflos gemordet werden darf. Euer „Skull City“ erzählt von einer ebenso finsteren Zukunft mit Megastädten und einer Allianz von Politik und organisiertem Verbrechen. Zusätzlich vermute ich, dass der Mensch in dieser Welt gläsern ist. Waren aktuelle Entwicklungen in Sachen sozialer Netzwerke, Big Data oder Bargeldabschaffung Inspirationen dafür?
Bei aller bewusst plakativen 80er-Ästhetik haben wir daran gedacht, dass sich die nahe Zukunft so entwickeln könnte. Kürzlich wollte unser neunjähriger Sohn den dritten Teil von „Johnny English“ mit Mr. Bean sehen und sogar diese Komödie handelt von einem Wahnsinnigen, der alle Server der Welt auf seinen lenkt und so die gesamte Infrastruktur in der Hand hat.

Ich höre daraus, dass ihr als Familie noch ins klassische Kino geht?
Aus Überzeugung. Ich finde es schade, dass das Kino langsam abstirbt. In Bochum haben wir viele kleine Häuser, das Casablanca, das Metropolis, das Capitol. Letzteres hat vor kurzem eine Spezialnacht namens „Das Böse“ veranstaltet, mit klassischen Horrorfilmen wie „Hellraiser“. Einmal saßen wir dort zu viert, einmal zu acht. Ich sage: „Leute, wieso macht ihr das überhaupt? Ihr habt Mitarbeiter in Aktion, unglaubliche Stromkosten, die Theken sind auf.“ Sie hoffen eben, auf lange Sicht wieder Kultpublikum und Ältere anzulocken. Die Jüngeren bleiben daheim, außer ein neuer Marvel schlägt auf, dann strömen die Massen ins UCI.

Im Uni-Center zu Querenburg steht immer noch die Leiche des ehemaligen Kinos. Beim Dönermann am Ende die Treppe rauf, und du stehst vor der roten Tür. Es liegt noch der blaue Teppich von damals. Ein waschechter „Lost Place“, wie man heute sagt.
Wir wohnen in Querenburg und kaufen immer im Uni-Center ein. Vor ein paar Jahren haben sie dort aus der Tür heraus Kinosessel verschenkt. So ist die Lage. Das war ein schönes Kino damals. Allerdings gibt es Hoffnung: Ein guter Freund sagte dieser Tage zu mir, mit den neuesten Serien, die ich ihm empfohlen hätte, fange er gar nicht erst ein. Er könne diesen Medien-Overkill nicht mehr ertragen und lege lieber wieder mal eine Blu-ray in den Player.

Nehmen wir an, ein klassischer Komponist der Vergangenheit hätte eure Musik von „Skull City“ geschrieben. Wer wäre das am ehesten gewesen, von der Mentalität her?
Ich würde gar nicht so weit zurückgehen und denke wegen „Also sprach Zarathustra“ als erstes an Richard Strauss. Er hat damals schon sehr perspektivisch und modern gearbeitet. Schaut man die Eröffnungsszene zu „2001 – Odyssee im Weltraum“ merkt man, dass der Mann zu seiner Zeit schon weiter gedacht hat als bis zur nächsten Oper.

Du hast gesagt, „Skull City“ war ein Herzensding ohne Auftrag. Wer beauftragt euch denn üblicherweise?
Produktionsfirmen oder Sender. Mark Hangebruch bat uns um einen Soundtrack für seinen Western „Durch seine Venen fließt Blei“. Ein sehr schöner Film, der auf rund fünfzig Festivals lief. Beim Cinalfalma in Portugal hat er den Preis für den besten Nachwuchsfilm gewonnen. Bei ein, zwei kleineren wurden wir für die beste Musik prämiert. Das bedeutet erst mal nur, das Preis-Logo verwenden zu dürfen und 250 Dollar zu bekommen, aber durch solche Auszeichnungen sowie einen Doppelseiter im Horrormagazin Virus haben wir größere Spieler auf uns aufmerksam machen können, darunter sogar Netflix.

Du bist Komponist, Musiker, Herausgeber, Moderator und Betreiber einer PR-Agentur. Workaholic oder genialer Delegierer?
In der Agentur habe ich Mitarbeiter, die mir das Leben erleichtern. Mit der Werbung wird das Geld verdient. Alles andere ist Freizeit und Leidenschaft. Ich habe dabei die volle Unterstützung meiner Frau. Die Musik kostet viel Zeit, aber die Moderation des „Bermuda-Talk“ im Mandragora ist zum Beispiel mit sechs Folgen im Jahr und tatsächlich eher eine schöne Entspannung. Es macht einfach Freude, da mit Bochumer Kultmenschen zu sitzen und vor Publikum zu plaudern.

CD Bergmann & Bartkowski: „Skull City. The Return of Snake“ | Konzerte:  1., 2.12. Westfallenhalle Dortmund bei der German Comic Con | www.skullcity-soundtrack.com

Interview: Oliver Uschmann

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