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Kapelle Petra
Foto: Sonja Berg

„Ein Gedanke pro Song“

27. Februar 2019

Guido Scholz von Kapelle Petra über Song-Rezepte und eigene Wege – Interview 03/19

trailer: Guido, in dem Lied „Radio an“ eures neuen Albums disst ihr herzhaft die neuen deutschen Pop-Poeten. Zitat: „Zu viel, zu gleich, zu glatt, zu nett.“ Diese Angriffslust ist ungewöhnlich geworden.
Guido Scholz: Für sich betrachtet sind diese Radiolieder hin und wieder ganz schön, aber in den letzten Jahren klingt alles so einförmig geglättet und geplättet, dass ich nicht mal mehr identifizieren kann, welcher junge Mann da eigentlich singt. Es wird zu wenig über den Tellerrand geschaut. Gerade den öffentlich-rechtlichen Sendern nehme ich das übel.

Deren Kulturauftrag wäre es auf jeden Fall, Kapelle Petra zu spielen. Oder vergleichbare Freigeister.
Geschenkt. Es geht nicht mal um uns, sondern ums Prinzip. Zahllose spannende Künstler mühen sich unbemerkt ab, aber wenn Fettes Brot einmal husten, haben sie drei Wochen Airplay bei Eins Live.

Euer Schaffen wurde mal Beklopptenpop genannt. Früher war der Bekloppte der Narr, der Einzige, der am Hof die ganze Wahrheit aussprechen durfte. Wie lauten eure wichtigsten Wahrheiten?
Dass im Grunde alles gut ist, zum Beispiel. Oder besser, als die meisten denken. Dass es furchtbar ist, wie alle meinen, sich den Etiketten des richtigen, bewussten oder gesunden Verhaltens anpassen zu müssen, um in ein gewisses Schema zu passen. Es ist legitim, sich zwischendurch gepflegt selbst zu zerstören. Auf dem Sofa verharren, Fast Food futtern, viel zu lang Videospiele zocken. Letzteres mache ich nicht mal, aber es muss erlaubt sein.

Kapelle Petra
Foto: Sonja Berg
Kapelle Petra
Seit 1996 betätigt sich die Kapelle Petra um den Ex-Internatsleiter Guido „Opa“ Scholz als humoristisch-melancholisches Flaggschiff des Freigeistes zwischen Indie, Pop und Konzeptkunst. Eine Ausstellung zu ihrem Lebenswerk trug den Titel „Beklopptenpop im Wandel der Zeit“.

Als Texter findest du originelle Worte dafür, dass es in der Gesellschaft nicht nur strebsame Puritaner geben kann. Manchen, so heißt ein ganzes Lied, genügt eine „Bundesjugendspieleteilnahmebescheinigung“. Ein Wort, das es nur im Deutschen geben kann.
Für ein anderes Lied hatte ich ein noch längeres zur Auswahl: Russische Holzineinandersteckpüppchenverkäuferinnen. Unser Produzent und Co-Autor Tobias Röger hat uns davon abgeraten.

Tobias Röger war kürzlich in choices, dem Schwestermagazin dieses Heftes, Gesprächsgast. Als Vollprofi im Hintergrund schreibt er Pop- und Schlagergrößen Hits auf den Leib. Dass eine Indie-Band wie ihr offen zugibt, nicht alles ganz alleine zu schreiben, ist ungewöhnlich.
Wir kennen uns seit 2002, als Tobi noch Sänger bei den Wohlstandskindern und ein Pop-Punk-Star war und vertrauen uns total. Er ist schlichtweg ein großartiger Musiker und hat einfach gute Tipps.

Wenn absolute Individualisten wie ihr für Hinweise eines solchen Profis offen sind, bedeutet das aber doch auch, dass es in der Musik abseits aller Schubladen objektive Maßstäbe in Sachen Songwriting und Ästhetik geben muss.
Sicher bleibe ich manchmal hartnäckig und belasse es so, wie ich es von vornherein gedacht habe, vor allem, wenn es zu poppig werden soll, aber was Tobias sagt, hat eben Hand und Fuß.



Aber wie sehen diese Hände und Füße denn konkret aus? Beim Romanschreiben etwa heißt eine eherne Regel: Zeige etwas, anstatt es zu sagen. Oder: Streiche grundsätzlich kurz aufeinander folgende Doppelungen. Hau mal so eine Regel in der Musik raus.
Wolfgang Petry, mit dem Tobias ja auch zusammenarbeitet, sagt immer: Ein Gedanke pro Song. Das ist auch bei mir hängengeblieben und tatsächlich wahr. Oftmals habe ich ein Thema und geselle dem in einem einzigen Lied noch zwei oder drei Parallelthemen dazu. Das wird meistens nichts.

Das erinnert an die wichtige Frage beim Drehbuch-Schreiben: Wem gehört die Szene? Eine Szene sollte von einer Figur bestimmt sein und nicht halbherzig von allen. Was wiederum gut zum Lied „Seitdem ich Johnny Cash bin“ passt, das ihr als Single auserkoren habt. Eine musikalische Kurzgeschichte über einen Getränkehändler aus Hamm-Westen, der als Imitator zum Provinz-Star wird. Der Song macht sich allerdings nicht über den Mann lustig, sondern feiert ihn.
Das war mir wichtig. So ein Imitator trägt ja oftmals ein Fremdschäm-Potential in sich. Die Geschichte bedient das aber gerade nicht, sondern erzählt einfach nur von einem Mann, der guten Gewissens macht, worauf er Bock hat. Egal, was andere denken. Diese Aussage ist mir wichtig. Theoretisch könnte man das Stück natürlich auch als Gleichnis auf Kapelle Petra lesen, die auch einfach nur machen, worauf sie Bock haben, obwohl der Erfolg sich in Grenzen hält.

und das seit 22 Jahren ohne Unterbrechung ansässig in Hamm. Eine Stadt, die der normale Mensch nur als Umsteigebahnhof kennt.
Oder als Autobahnknotenpunkt von A1 und A2.

Es ist ein seltsamer Ort am äußersten Nordostrand des Ruhrgebiets. Teile davon wirken wie das Münsterland, Teile ragen regional wie atmosphärisch in den Pott hinein. Zugleich ist Hamm so dermaßen weitläufig und flach – es fehlen nur noch der Smog und die Palmen und man befände sich in Los Angeles.
(lacht) Was soll ich dazu noch sagen? Besser kann man es nicht beschreiben. Bitte nimm das so und sage, es wäre von mir.

Guido, wie würdest du Hamm beschreiben?
Hamm ist so dermaßen weitläufig und flach – es fehlen nur noch der Smog und die Palmen und man befände sich in Los Angeles.

Wahnsinn! Auf den Punkt! Was ist noch toll daran?
Ich habe auch mal in Münster gelebt, aber als Hammer war mir das zu gediegen. Wenn ich daheim in Hamm am Wochenende den Bahnhof betrete, liegt da ein Betrunkener auf dem Boden und grölt „Schaaaaalke!“ So mag ich das.

Du hast eine rustikale Seite. In dem eingangs genannten Lied „Radio an“ ruft ihr die Radioredakteure dazu auf, mutig zu sein und „Blumenkohl am Pillemann“ zu spielen.
Das ist ein Punk-Kracher der Kassierer aus Bochum. Früher fand ich die furchtbar, aber mittlerweile habe ich deren großartige Satire verstanden.

Woran du auch sehr viel gekonnte Freude hast, ist das lyrische Spiel mit Phrasen und Klischees, jedoch auch nicht verächtlich, sondern durchaus mit Liebe zum Kalenderspruch.
Es liegt mir einfach, eine Geschichte rund um Sprichwörter zu stricken. Dafür bin ich sehr schlecht bei politischen Sachen. Liebeslieder beherrsche ich im Grunde auch nicht.

Welches Sprichwort findest du so gut, dass es für dich ein echtes Lebensmotto sein könnte?
Abstinenz führt auch nicht zur Unsterblichkeit.

Ist das ein Zitat?
Beim Schreiben war ich noch überzeugt davon, dass ich es erfunden hätte, aber vergangene Woche sagte mir jemand, es stamme aus der modernen BBC-Serienfassung von „Sherlock Holmes“. Ich muss es aufgeschnappt und im Unterbewusstsein eingelagert haben, bis es hochgeschwemmt wurde.

Album „Nackt!“ | ab 22.3. | www.kapellepetra.de

Interview: Oliver Uschmann

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