Kevin, deine Musik klingt edel und gediegen, dabei eingängig und sanft. Einerseits griffig, andererseits frei flottierend und verträumt. Du selbst hast sie mal Chamber Pop genannt. Was spielt Spotify zum Vergleich, wenn du in der Playlist auftauchst?
Kevin Werdelmann: Daran kann man sich bei mir überhaupt nicht orientieren. Da tauchen alle möglichen Künstler aus den diversesten Kreisen auf und welche, die mit mir die Region teilen. Wahrscheinlich, weil die Nutzer, die nach mir suchen, auch andere Musiker aus dem Ruhrgebiet auf dem Schirm haben.
Es steckt also gar kein musikmorphologischer Algorithmus dahinter?
Ich kann ihn zumindest nicht erkennen. Logge ich mich mit meinem Künstler-Account ein, kann ich aber auch nur sehen, was wann und wo gehört wurde. Nicht, was jemand in seinem Hörprofil sonst noch gelistet hat.
Was würdest du denn gerne dort sehen?
Einmal hat ein Kulturmagazin meine Musik mit der von Get Well Soon verglichen. Das hat mich gefreut, denn vor allem in der deutschen Szene kommt die Arbeit von Konstantin Gropper dem, wie ich denke und bin, noch am nächsten.
Lass mich ein paar Vorschläge machen, auf dass unser Publikum einen besseren Begriff deines Vibes bekommt. Passend in der Playlist wären Prefab Sprout, Talk Talk…
Beide sehr gerne. Jetzt werden hier die 80er bedient.
Nicht nur. Die Beach Boys zu Zeiten von „Pet Sounds“ kommen mir auch noch in den Sinn.
Damit hast du einen absoluten Volltreffer gelandet. Vor allem, was mein zweites Album „Solaria“ angeht. Beim aktuellen passen tatsächlich eher die 80er.
Diese Platte arrangiert Lieder deiner Frühwerke vor dem ersten offiziellen Album neu. Welche sind dir besonders wichtig und was hat sich an ihnen nach mehr als 15 Jahren getan?
Besonders am Herzen liegt mir „Soothing Light“, zu dem ich auch ein Musikvideo gedreht habe. Den Song habe ich damals einer Brieffreundin aus Österreich gewidmet, die mich auch zu einigen Textpassagen inspiriert hat. Deshalb war es mir schon wichtig, dass er diesbezüglich über weite Strecken gleich bleibt. Musikalisch grenzt er sich aber mit Schlagzeug, Flügel und Streichern recht deutlich von der Akustikvariante des damaligen Demos ab.
Du spielst die Streicher selber?
Ich habe mir dafür sogar extra für ein paar Tage ein Cello aus dem Instrumentenverleih organisiert. Nicht, dass ich im Vorfeld irgendeine Ahnung davon gehabt hätte, wie man das Ding spielt. Aber wenn man gerade keine Cellisten zur Hand hat, muss man sich eben selbst eine Sehnenscheidenentzündung holen.
Hast du auch umgekehrt mal etwas am Text getan und an der Musik weniger?
„Light Up“, der früher einmal „Diamond“ hieß, hat eine lyrische Metamorphose vom klassischen Liebeslied zum Durchhaltesong erfahren. Mit dem Text konnte ich einfach nicht mehr viel anfangen. Das musikalische Arrangement ist dagegen relativ ähnlich zum Original.
So oder so machst du eine Musik, die längst in aller Ohren und Autoradios sein müsste. Wieso hat nie ein großes Label angebissen?
Ich bin von Haus aus total introvertiert. Das ist tödlich in diesem Geschäft. Live spielen ist für viele eine Leidenschaft und der Hauptgrund, überhaupt Musik zu machen. Für mich fühlt es sich eher wie eine Notwendigkeit an. Ich habe es lieber, wenn die Leute wertschätzen, was ich mit aller Liebe und Sorgfalt aufgenommen habe, als diese kurze Momentaufnahme auf einer Bühne.
Also das absolute Gegenteil deiner vorherigen Tätigkeit in einer lauten Indierock-Band?
Das waren ja nicht meine eigenen Songs. Da stand ich als Bassist am Rand und konnte jemand anderes sein. Ich sollte sogar jemand anderes sein, weil ich tatsächlich ein bisschen Andy Bell in der Letztbesetzung von Oasis ähnlich sah. Zumindest mit Sonnenbrille. (lacht)
Die eigene Musik ungern live aufzuführen, ist das Eine. Dennoch hätten große Plattenfirmen das zeitlose Radiopotenzial dieser Lieder erkennen müssen.
Die häufigste Antwort aus diesen Kreisen lautete, dass es „nicht zeitgemäß“ oder sogar „zu zeitlos“ wäre. Die meisten fanden es gut, dachten aber, es ließe sich nicht verkaufen. Zu Retro. Zu sehr 70er und 80er.
Und somit Anfang der Nullerjahre perfekt geeignet für WDR2 und heute für das vollkommen umgestaltete WDR4.
Die ersten beiden Alben liefen sogar trotz kleinem Label relativ häufig auf Deutschlandradio Kultur. Das hat mich sehr gefreut. In der Masse wurde es aber nicht angenommen. Was ich mache, lässt sich wohl Liebhabermusik nennen. Ohne eine spektakuläre Bühnenperson dahinter, verankert sich so ein Stil nicht in der breiten Wahrnehmung.
Viele Kollegen von dir, die ebenfalls ungern auf der Bühne stehen, schreiben als Ghostwriter Hits für bekannte Stars. Kam das für dich nie in Frage?
Genug Material dafür und die Fähigkeit, auf Auftrag zu komponieren, hätte ich ohne Frage. Doch um in diesen Kreisen einen Fuß in die Tür zu bekommen, muss man auch wieder eine Rampensau sein und zwar in Netzwerken und im sozialen Kontakt. Was die meisten nicht verstehen: Introvertiertheit ist keine Allüre, die sich einfach so abschalten lässt. Sie ist ein tiefgehender und letztlich unveränderlicher Teil der Persönlichkeit.
Gibt es in deinen Träumen eine Variante, trotz dieser zurückhaltenden Persönlichkeit viele Millionen Hörerinnen und Hörer zu erreichen?
In der Tat, und zwar mit multimedialen Spektakeln vom Typus Pink Floyd, bei denen die Musiker selbst vollkommen in den Hintergrund treten und die Musik sowie alle anderen Sinneseindrücke im Vordergrund stehen.
Gut, dann heißt es jetzt: Die Klangvision von Slowtide 2.0 zum Pink Floyd der Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts ausbauen.
Ich denke darüber nach. (lacht)
CD Slowtide: A Gentle Reminder | www.slowtide.com
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