Als Pater Amandus Acker 1895 die Ruinen des Klosters Knechtsteden begutachtete, hatte der Gebäudekomplex bereits eine bewegte Geschichte hinter sich gebracht. Als Prämonstratenserkloster im 12. Jahrhundert vom Kölner Erzbischof angeregt und mit einer Basilika im romanischen Stil gekrönt, hatten die Jahrhunderte ihre Spuren gesetzt – Zerstörung und Plünderung wechselten mit zeitgenössischen Neuerungen wie einem Torhaus in pompösem Barockstil. Pater Acker übernahm die verrauchten Trümmer einer einstigen Nervenheilanstalt, und zum Jahrhundertwechsel siedelte er eine Missionsschule und ein Brüdernoviziat an – bis der Nationalsozialismus den guten Geist der Mönche vom Orden der Spiritaner austrieb. Heute leben wieder einige Brüder in der Abtei, sie wirken seelsorgerisch in den umliegenden Gemeinden. Über die Klostergrenzen strahlt seit mehr als 20 Jahren das Festival Alte Musik, das im Spätsommer die heute wieder prächtigen Klosteranlagen und die wunderbar über die Jahrhunderte geformte Basilika mit Musik beseelen.
Eine kurze Überlandpartie für Selbstfahrer gehört zur Anreise nach Knechtsteden, ein Shuttleservice holt ansonsten Gäste am Bahnhof in Dormagen ab. Hermann Max, Gründer dieses Festivals und der etablierten Ensembles „Rheinische Kantorei“ und „Das kleine Konzert“, verspürt bei den Besuchern Gesprächsbedarf. Und da reagiert der Konzertbetrieb begeistert. „Fachkundige erläutern im Unterhaltungston den bunten Hintergrund“ der über die Woche erklingenden Musiken in einem Vorgespräch in der Klosterbibliothek und „häppchenweise“ werden Infos während des Konzertes nachgereicht. Wem das nicht ausreicht, der kann mehrere Symposien besuchen, die parallel zur Musik veranstaltet werden und in denen Themen wie der wohl zentral im Schuh drückenden Frage „Ist Alte Musik museal?“ intensiv nachgegangen werden. Für die richtig jungen Hörer, die Besucher von morgen, richtet u.a. der ZAMUS-Zampano Thomas Höft, der engagierte Leiter des Zentrums für Alte Musik Köln, einen ganzen Tag für die Jugend auf dem Klostergelände aus: Mit Musik, Singen, Basteln und Tanzen. Für das tägliche leibliche Wohl wird traditionell gesorgt, auch in den Konzertpausen können sich Besucher erfrischen.
Der künstlerische Leiter Max eröffnet die Konzertwoche festlich mit Felix Mendelssohns „Elias“ (19.9.), einem großen Oratorium mit Solisten und zahlreichen Chor- bzw. Arienhits. Als Kontrapunkt zum ausgelassenen „Jungen Festival“ (20.9.) wurde eine „Gregorianische Nacht“ (20.9.) anberaumt, bestimmt ein atmosphärisches Erlebnis, wenn Architektur und Musik des 12. Jahrhunderts verschmelzen. Aber auch romantischer Liedgesang mit Schubert und Schumann erklingt in romanischem Raum, der Tenor Markus Schäfer gestaltet hier seinen Liederabend (24.9.). Zum Abschluss lässt Hermann Max Musik von Telemann und Händel krachen: Am „Tag des Gerichts“ (28.9.) ist alles verhandelt.
23. Festival Alte MusikKnechtsteden | 19.9.-28.9. | www.knechtsteden.com
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