Als die schwedische Rapperin Silvana Imam einen renommierten Musik-Preis bekam, hielt sie ihre Dankesrede zu weiten Teilen auf Arabisch. Zwar beherrschten die Gäste diese Sprache höchstwahrscheinlich nicht. Doch Silvana Imam rechtfertigte ihren Auftritt damit, dass die Anwesenden sie ohnehin nicht verstanden hätten, selbst wenn die feministische Rapperin mit einem sogenannten Migrationshintergrund auf Schwedisch gesprochen hätte.
Hengameh Yaghoobifarah erzählt diese sanfte Provokation Imams bei ihrer Lesung im Literaturhaus Dortmund nicht nur, um die verstreuten, persischen Passagen in ihrem Roman zu rechtfertigen, die nicht ins Deutsche übersetzt sind, und daher für vermeintliche Durchschnittsleser:innen unverständlich sind. Yaghoobifarah zielt mit dieser Anekdote auch auf das breite, gesellschaftliche Unverständnis ab, das denjenigen entgegengebracht wird, in deren Personalausweisen keine Namen wie Schmidt oder Müller stehen.
Nicht Schmidt, nicht Müller
„Ministerium der Träume“, so der Titel ihres Debütromans, entführt uns dagegen in das Innenleben einer Figur, die zu diesen Unterrepräsentierten zählt und deswegen einen ganz anderen Blick auf den Zeitgeist hat. Es geht um Nasrin, eine queere Türsteherin in Berlin mit iranischen Wurzeln. Der Romantitel signalisiert keine Behörde, sondern die Ich-Perspektive dieser Nasrin, ihre Gedankenwelt, ihre Träume und Ängste. Die Erfahrungen mit ihrer übergriffigen Mutter oder ihrer widerspenstigen Nichte werden etwa aus der Sicht dieser Protagonistin erzählt.
Alles beginnt mit einer persönlichen Katastrophe für Nasrin, als zwei Polizisten vor ihrer Tür stehen. Die Beamten verkünden die Nachricht, dass ihre Schwester bei einem Autounfall starb. Damit beginnt eine Vermengung von Gegenwartsfragmenten und etlichen Rückblenden, die sich über die annähernd 400 Seiten des Romans erstrecken. Dass all dies aus dem Innenleben geschildert wird, definiert Yaghoobifarah auch mit dem Begriff der „Traumfabrik“, eine Art individuelle Bewusstseinswelt: „Man könnte auch sagen, es ist die Welt, weil da die schlimmen Traumata geschehen“, so die Autorin.
Deutsche Sprache, unverstanden
Es liest sich zumindest wie ein eigener Blick auf die Welt, die durch alltägliche, rassistische Diskriminierung geprägt ist. Als Nasrin etwa der Polizei die Tür öffnet, entgegnet sie zunächst: „Wenn es um die Familie aus dem vierten Stock geht, kann ich Ihnen versichern, dass es sich wirklich nicht um einen kriminellen Clan handelt“.
Yaghoobifarah lässt ebenso die zahlreichen, neofaschistischen Anschläge der 1990er-Jahre Revue passieren, Erinnerungsfetzen, die zwischen den Coming-of-Age-Motiven eingestreut wurden. „Ich habe zwar nicht von Anfang an geplant, einen Roman über rechte Gewalt zu schreiben“, so die taz-Kolumnistin und Missy-Magazine-Redakteurin. Aber es habe ihre Figur geprägt, wie damals während der „Baseballschläger-Jahre“ Nazis umherzogen. Ihre Nasrin erscheint daher als eine dieser Ungehörten, die regelmäßig rechte Anfeindungen erfuhren, die Terroranschläge in Solingen oder die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen verfolgten, und unverstanden blieben. Obwohl sie in deutscher Sprache appellierten.
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