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Hilmar Klute
Foto: Jan Konitzki

„Bildung spielt in unserem Land keine große Rolle“

13. März 2023

Hilmar Klute über seinen Roman „Die schweigsamen Affen der Dinge“ – Interview 03/23

trailer: Herr Klute, ihr Roman beginnt mit der Rückkehr des Arbeiterkindes und etablierten Journalisten Henning ins Ruhrgebiet, wo sein Vater beerdigt wird. Das erinnert an Motive, die sich zuletzt u.a. in den Büchern von Deniz Ohde, Édouard Louis oder Christian Baron fanden. Woher rührt diese Beschäftigung von Gegenwartsautor:innen mit ihren Vätern?

Hilmar Klute: Es ist ein älteres Sujet, das bereits mit der Autorengeneration der frühen 1970er- bis in die 80er-Jahre hinein begann. Das Format, das mich vor allem für meinen Roman interessierte, war Christoph Meckels „Suchbild. Über meinen Vater“. Der Sohn beschreibt darin die Charakterschwächen des Vaters, während der Nazizeit ein Mitläufer, ohne den Respekt vor ihm zu verlieren. Meckel beschreibt, wie er sich von seinem Vater loslöst und zugleich an dessen Einfluss pappen bleibt. Das andere Werk, das ich heranzog, war Peter Härtlings Vatergeschichte „Nachgetragene Liebe“. Darin geht es um den umgekehrten Fall, also um einen Jungen, der von den Nazis begeistert ist. Während der Vater, ein katholischer Rechtsanwalt, dem kritisch gegenübersteht. Aber vielleicht geht es durch jede Generation, dass man sich mit den Eltern auseinandersetzen muss, besonders bei jenen, denen etwas Paternalistisches anhaftet. Oder wenn es um etwas Proletarisch-Brutales wie bei Christian Baron oder Édouard Louis geht. Gemessen daran musste ich schauen, welche Anteile davon bei meinem Vater lagen. Vielleicht brauchen Jungen so eine Vaterfigur als Vorbild. Das ist zumindest das, was mir bei meinem Vater fehlte.

Ein wichtiger Aspekt ist der Bildungsunterschied, den ihr Protagonist zu seinem Vater hat. Warum blickt er so dünkelhaft auf seine proletarische Herkunft?

Die Bildung hängt stark mit dieser Entfremdung zum Vater zusammen. Dieser Junge hat die Bildung im Elternhaus vermisst. Es gibt Passagen, in denen er versucht, als Kind an ein Bildungsgut heranzukommen. Er möchte immer mehr erfahren, immer mehr lernen. Aber es wird ihm kein Wissen geliefert. Dem Vater ist das alles egal. Genau diese Erfahrung prägte auch einen Teil meines Lebens: das Fehlen eines Bildungsgrundstoffs. Man ist daher irritiert, wenn man in akademische Milieus, an die Uni gelangt. Die anderen wissen dann schon viel mehr, haben einen anderen Sprachgebrauch und einen viel selbstverständlicheren Zugang zum Wissen. Deswegen bin ich so ein Bildungsverfechter. Es ist für mich neben der Liebe das wichtigste Gut, das man einem Kind vermitteln muss. Doch Bildung spielt in unserem Land keine große Rolle; hier wird die entscheidende Einflusskraft von Bildung auf den Lebensweg und die Charakterentwicklung geringgeschätzt.

Im Gegensatz zu z.B. Édouard Louis, der in „Anleitung ein anderer zu werden“ manisch diesen Bildungsrückstand aufholt, erscheint Ihre Figur in intellektuellen Kreisen wie selbstverständlich zuhause zu sein.

Ich selbst hatte nie das Gefühl, dass ich meine Bildung krampfhaft aufstocken muss. Das erste Buch, das meine Lese- und Bildungsbegeisterung weckte, war ein schmaler Band von Hermann Hesse: „Eine Bibliothek der Weltliteratur“. Ich war völlig von der Idee begeistert, sich eine ideale Bibliothek zu schaffen. Hesse schreibt darin diesen schönen Satz: „Bildung ist nicht Bildung zu irgendeinem Zwecke.“ Das leuchtete mir sofort ein. Denn ich wollte mich nie als klug etablieren, sondern Bildungsgenuss haben. So hat sich alles entwickelt und dadurch eignet man sich Wissen an.

Zur bildungsfernen Herkunft ihrer Figur gehört auch das Ruhrgebiet. Welche Rolle spielte es in ihrem Roman?

Als ich ein Kind war, waren die Endmoränen dieser Bergbauzeit noch sichtbar. Es gab überall noch diese Stollen, wo wir spielten. Diese ganze Zechenlandschaft hallte nach und prägte das Leben. Ich erlebte eine Arbeiterkinderzeit. Auch das Ruhrgebiet, wie Henning es erfährt, ist retrospektiv – was auch in der Ruhrgebietsliteratur immer auffällig war: Es geht um Leute, die so alt sind wie ich, dann wiederkommen und sich an zurückliegende Dekaden erinnern. Das ist eine Blaupause, die sich etwa auch bei Frank Goosen findet – bei ihm ist es oft lustig. Dazu gehört aber ebenso etwas Ernstes. Denn die Leute im Ruhrgebiet mussten unter beschissenen Bedingungen arbeiten und hatten es nicht leicht. Mein Großvater ist an einer Silikose gestorben. Mit 14 Jahren begann er 1923 als Hauer zu arbeiten – im Kinderalter. Daran konnte ich erkennen, wie menschen- und klassenverachtend es zuging. Diese Geschichte schwingt immer mit, deswegen liegt in meiner Erinnerung an das Ruhrgebiet immer eine gewisse Schwere.

Hilmar Klute: Die schweigsamen Affen der Dinge | Di 21.3. 19.30 | Medienforum des Bistums Essen | 0201 220 44 42

Interview: Benjamin Trilling

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