„Ich glaube, es gibt nur sehr wenig Kunst, die man wörtlich nehmen sollte“, hat der afro-amerikanische Soziologe Henry Louis Gates mal gesagt. Er sollte vor Gericht als Experte seine Meinung kundtun, ob die Arsch- und Tittenwackel-Texte der Rapper von 2LiveCrew als „obszön“ gelten können und nicht verkauft werden dürfen. 1991 war das, und was Professor Gates damals erzählte, darf weiterhin Gültigkeit beanspruchen. Zwar ist der panische Unterton gegenüber sexualisierten Texten verschwunden – als Projektionsfläche hat HipHop aber noch lange nicht ausgedient.
Das behauptet zumindest die Kölner Migrationsforscherin Ayla Güler Saied. In ihrem Buch „Rap in Deutschland“ zeichnet sie nach, wie HipHop immer wieder als Gradmesser gesellschaftlicher Trends herhalten muss. Im Mittelpunkt steht dabei der Umgang mit Migration. Als sich vor 20 Jahren die „Das Boot ist voll“-Rhetorik in einer Reihe von rassistischen Morden Luft machte, wurde HipHop als der multikulturelle Gegenentwurf gehandelt. Reihenweise waren Journalisten erstaunt, dass Jugendliche aus verschiedenen „Kulturen“ miteinander friedlich Musik machen können. Und als sich das Klima in den Nullerjahren drehte und der junge, männliche Migrant als defizitäres Wesen Eingang in Bildungspolitik und öffentliche Panikmache fand, boten sich Berliner Gangster-Rapper als die perfekte Illustration an. Güler Saied lässt dagegen die Rapper selbst zu Wort kommen – von Veteranen der ersten Stunde bis zu jungen Rappern, die in den Nullerjahren ihre Karriere gestartet haben. Die versammelten Interviews bilden einen Gegenpol zum Reden über HipHop. Die Rapper erzählen, wie unwichtig die Migrationsgeschichte ihrer Freunde war, weil die Liebe zur Musik im Mittelpunkt stand. Und auch der Mythos der „Musik aus dem Ghetto“ ist für Güler Saied falsch. Im Gegenteil – in der HipHop-Szene braucht man Geld für Equipment, für Platten, für Spraydosen. Das ist keine Musik für arme Jungs. Gerade diese Kontraste zwischen der Selbstbeschreibung der HipHopper und dem Diskurs darüber machen den Reiz des Buches aus, für den man sich auch gerne durch die akademisch schwerfälligeren Kapitel kämpft.
Aber warum ìst eigentlich HipHop die Projektionsfläche Nummer 1 in Sachen Migration? Selbst jedem CDU-Politiker mit GI-Erinnerungen dürfte doch klar sein, dass Pop per se ein Einwanderungsland ist. Warum wird dann immer wieder HipHop zum Schlachtfeld von Debatten? Vielleicht liegt es am Selbstbewusstsein, mit dem ein Rapper wie der Gladbecker Fard auf Persisch und Deutsch rappt, weil es schlicht sein Leben jenseits von Diskursen über „Integration“ und „Problemkieze“ widerspiegelt. Vielleicht sind es auch die Eskapaden von Rappern wie dem Berliner Deso Dogg, der sich vom Straßenrapper zum Salafisten wandelte und aktuell untergetaucht ist. Das weckt Fantasien über die politische Macht von Pop – im negativen wie im positiven Sinne. So auch bei dem kölsch-iranischen Musiker Shahin Najafi, auf den wegen seines Raptracks „Ay Naghi!“ ein Kopfgeld im Iran ausgesetzt ist. Jetzt hat er ein Buch veröffentlicht, in dem er von seiner unspektakulären Jugend im Iran erzählt, der Einreise nach Deutschland und seinen Texten. Auf Deutsch singt er übrigens am liebsten über den Alltag. Oder ist das am Ende auch nur wieder eine Projektion?
Ayla Güler Saied: „Rap in Deutschland“, Transcript, 29,90 €
Fard: „Bellum und Pax“ (Code Rouge/Groove Attack) | www.fardruhrpott.de
Shahin Najafi: „Wenn Gott schläft“, KiWi, 8,99 €
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