trailer: Frau Hofmann, nach „Trümmerland“ ist „Totenwinter“ Ihr zweiter Roman, der sich der Nachkriegszeit in Bochum widmet. Woher rührt das Interesse für diese Thematik?
Sabine Hofmann: Ich bin selbst im Ruhrgebiet groß geworden und lebte dort bis zu meinem Studium. Die Nachkriegszeit war daher auch ein Teil meiner Kindheit – zwar nicht, weil ich diese selbst erfuhr. Sondern die Erwachsenen, mit denen ich aufwuchs, erlebten diese Zeit. Sie erzählten etwa vom Hunger, vom Spielen in den Trümmern, von der Schwedenspeisung, die meine Mutter im Henkelmann in Empfang nahm. Mein Vater berichtete, wie seine Familie 1943 in Bochum ausgebombt und anschließend nach Hessen evakuiert wurde. Alle diese Geschichten fielen mir nach Jahren wieder ein und ich fing an, näher über diese Nachkriegszeit im Ruhrgebiet zu recherchieren. Dadurch konnte ich die gehörten Geschichten auch mit größeren politischen Zusammenhängen verbinden und daraus einen Krimi machen.
Bereits zuvor verfassten Sie gemeinsam mit der Autorin Rosa Ribas Krimiromane über das Spanien während der Franco-Diktatur. Inwiefern geht es Ihnen auch darum, die Themen Krieg und Faschismus in Form einer Krimiliteratur aufzugreifen?
Spannend ist für mich die Frage, wie der Zusammenhang von politischen Verhältnissen und polizeilichen Ermittlungen von Verbrechen zu einem bestimmten Zeitpunkt aussieht. Das hat uns interessiert, als wir über die 50er Jahre in Spanien geschrieben haben. Und es hat mich auch beschäftigt, als ich über die deutsche Nachkriegszeit geschrieben habe.
In einer Passage aus „Totenwinter“ schildern Sie die Fahrt von Bochum zur Villa Hügel. Darin beschreiben Sie eine zerstörte und menschenleere Stadt. Inwiefern haben Sie neben den Augenzeugenberichten dafür auch vor Ort in Archiven recherchiert?
Ich konnte im Bildarchiv der Stadt Bochum recherchieren, das eine Vielzahl von Fotos aus diesem Zeitraum beherbergt. Des Weiteren bin ich auf Filme gestoßen, unter anderem fand ich einen Clip, den US-amerikanische Soldaten aufnahmen, als sie im April 1945 Bochum eroberten. Man sieht in diesen Aufnahmen, wie sie auf das Werksgelände des Bochumer Vereins vorgedrungen sind. Diese Szenen lieferten mir etwa Eindrücke für die Beschreibung des Stahlwerks in meinem Roman. Für die Passage über die Fahrt zur Villa Hügel inspirierte mich eine Aufnahme der britischen Armee. Darauf sah man, wie Soldaten in das Gebäude liefen. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch ein berühmtes Foto, das Alfried Krupp bei seiner Verhaftung vor der Villa Hügel zeigt.
Spannend finde ich die „Stunde Null“-Diskurse, die Sie aufgreifen: von den Kriegsschuldfragen bis hin zu den Verstaatlichungsforderungen der damaligen SPD unter Kurt Schuhmacher.
Während meiner Recherchen habe ich gesehen, dass die Frage nach dem Umgang mit der Stahlindustrie zu dieser Zeit vollkommen offen war. Zum Ersten standen nach den Plänen der Alliierten Demontagen auf dem Programm, ebenso Entflechtungen in der Stahlindustrie, die ja als Waffenschmiede des Reiches galt. Zudem stellte sich die Frage nach den zukünftigen Besitzverhältnissen. In SPD-nahen Tageszeitungen wurde die Forderung nach Sozialisierungen von Betrieben gestellt und man fragt sich beim Lesen: Ist das die SPD, die wir kennen? Klar, es waren die Sozialdemokraten vor dem Programm von Bad Godesberg, mit dem sich die Partei im Jahr 1959 vom Marxismus entfernte. Was ich ebenfalls spannend finde, waren Diskussionen unter Arbeitern und Gewerkschaftern. Manche argumentierten, dass man sich für den Erhalt von Arbeitsplätzen mit den Konzernen arrangieren müsse. Andere waren der Meinung, dass Industriewerke wie der Bochumer Verein den Krieg mitbetrieben und deswegen die Besitzstruktur der Werke verändert werden müsse.
Ist es auch ein Weg, wie etwa Volker Kutscher mit seinem Erfolgswerk „Babylon Berlin“, historische Hintergründe durch unterhaltsame Krimiliteratur zu vermitteln?
Ich finde es großartig, wie Volker Kutscher den damals steigenden Druck der Nazis auf das demokratische System oder die Reichstagswahlen vermittelt. Über Krimiromane lassen sich solche Themen anschaulich darstellen.
Steht es schon fest, ob sich Ihr nächster Roman erneut der Nachkriegszeit widmet?
Ja. Es geht um die Währungsreform 1948. Der Sonntag am 19. Juni wird darin eine große Rolle spielen. An diesem Tag standen viele Menschen an, um ihre 40 D-Mark Kopfgeld zu kassieren. Dabei kreuzen sich Wege, mancher trifft alte Bekannte wieder, und es entspinnt sich wieder eine Krimihandlung.
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