Hätten Lebensmittelskandale angemessene Konsequenzen, dann stünde es um die Ernährung längst zum Besten. Von standardisierter Tierquälerei über BSE und Dioxin bis Lohnsklavenarbeit ist die Liste lang, und zur Entwarnung besteht kein Anlass: Urwälder weichen Plantagen, bedenkliche bis lebensgefährliche Lebensmittelzutaten sind üblich und trotz eines Überangebots an Nahrung leiden hunderte Millionen von Menschen an Mangelernährung und Hunger. Dem gehen wir im Monatsthema NIMMER SATT nach.
Unsere Leitartikel folgen persönlichen Anstrengungen, sich im Gewirr aus Nahrungsempfehlungen zu orientieren, besinnen sich auf einfache Regeln für eine gesunde Ernährung und wägen ab, wie indigene Traditionen zu einem nachhaltigen Umgang mit Nahrung inspirieren können.
In unseren Interviews klagt der Lebensmittelexperte Hans-Ulrich Grimm die Legalisierung von Lebens- mittelbetrug an, die Nachhaltigkeitsforscherin Martina Schäfer wägt ab, wie gegen Industrieinteressen für eine nachhaltige Landwirtschaft gestritten werden kann und der Landwirtschaftsexperte Markus Wolter erklärt, was die Produktion unserer Nahrung im globalen Süden anrichtet.
In Köln erfahren wir, was die „The Good Food“-Läden gegen Lebensmittelverschwendung tun, in Bo- chum, wie der Gemeinschaftsgarten Grünstich die Umgebung verändert und in Wuppertal, wie das Informationsbüro Nicaragua über die Landwirtschaft im globalen Süden informiert. Ausgebliebene Getreidelieferungen infolge des Kriegs in der Ukraine machen deutlich, wie sensibel das selten öffentlich beachtete internationale Geflecht der Nahrungsversorgung ist. Ebenfalls selten rückt in den Blick, dass Konzerne die Züchtung und den Vertrieb von Saatgut weitgehend vereinnahmt und kapitalisiert haben – mit dem Versprechen, durch überlegene Züchtungen die Ernährung der Weltbevöl- kerung erst zu ermöglichen. Unterstützt durch Regierungen haben sie binnen Jahrzehnten unzählige tra- ditionelle Sorten von Nahrungspflanzen, geschaffen von Generationen von Bauern, von den Feldern ver- drängt. So ist beispielsweise von den zuvor 100.000 bis 200.000 traditionellen Reissorten Indiens kaum etwas übrig geblieben – darunter Sorten, die ertragreicher sind als die sogenannten Hochleistungssorten der Industrie, die besonders für die Ernährung stillender Mütter geeignet sind, die auf trockenen oder salzigen Böden gedeihen und sogar in metertiefem Wasser! Das einzige Manko dieses Menschheitserbes namens Saatgut: Mit ihm lässt sich kein Geld verdienen – das klappt nur mit lizenzierten Konzernzüch- tungen, aus denen die Bauern selbst kein hochwertiges Saatgut gewinnen können und deren Kultivie- rung an Agrochemikalien gebunden ist. Immerhin gibt es Initiativen, solidarische Gemeinschaften und Tauschbörsen, die frei verfügbares Saatgut in Umlauf halten – Schritte, die Ernährung der Menschheit wieder in ihre eigenen Hände zu legen.
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