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Markus Wolter
Foto: Schröder / Misereor

„Mit Waffengewalt von ihren Ländereien vertrieben“

30. August 2022

Landwirtschaftsexperte Markus Wolter über industrielle Landwirtschaft im globalen Süden – Teil 2: Interview

trailer: Herr Wolter, welche Folgen hat die stark industrialisierte Landwirtschaft auf den globalen Süden?

Markus Wolter: Der Anbau von dieser Art Landwirtschaft geht einher mit ziemlich gravierenden Folgen für die Ökologie, für die Umwelt und die Menschen dort. Nehmen wir zum Beispiel den Sojaanbau in Brasilien: Dort wird in großen Dimensionen Soja angebaut, was zum Großteil hinterher nur als Futtermittel verwendet wird. Dieses geht dann unter anderem nach Deutschland, als Eiweißkomponente in der Fütterung für Schweine und Geflügel. Diese Art der Landwirtschaft, auf großen Flächen und mit viel Technik und Kapitaleinsatz, setzt in der Regel sehr große Mengen Pestizide ein, zum Teil hoch gefährliche Pestizide, die das Wasser belasten, die Menschen, die sie anwenden und natürlich auch die Artenvielfalt.

Diese Pestizide sind aus gutem Grund verboten“

Mittel, die in Europa verboten sind, werden im globalen Süden teils auf den Markt gebracht, um Profite zu steigern. Welche Folgen hat das?

Wir haben es hier mit dem Phänomen zu tun, dass in Deutschland bestimmte Produkte verboten sind, aber hier produziert werden, dann außerhalb der EU exportiert werden und dort quasi durch die Hintertür wieder Anwendung finden. Sie sind aus gutem Grund hier verboten, weil sie zu den sogenannten gefährlichen Pestiziden gehören – hochgefährlich für Menschen und Umwelt. In Ländern, in denen viele dieser Stoffe verwendet werden, haben die betroffenen Menschen ganz häufig mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Bei Frauen geht es oft auch um Themen wie Kindersterblichkeit. Wohnen sie in der Nähe von Beständen, die intensiv mit Pestiziden besprüht werden, liegt die Sterblichkeit viel höher bzw. verlieren Frauen in einer solchen Umgebung auch häufiger ihr ungeborenes Kind. Darüber gibt es zahlreiche Untersuchungen. Ansonsten leiden viele Kinder in solchen Regionen an Hautproblemen, oder Anwender von Pestiziden klagen vielfach über Atemwegsprobleme. Bei meinen eigenen Besuchen in betroffenen Regionen haben mir viele Bauern erzählt, dass sie nach der Pestizid-Anwendung ein bis zwei Tage lang intensive Kopfschmerzen haben, Hautirritationen oder Ekzeme bekommen, die man alle auf die eingesetzten Stoffe zurückführen kann.

Gemeinden wurden mit Waffengewalt von ihren Ländereien vertrieben“

Wieso ist die Bevölkerung hier mehr gefährdet als in Europa?

Gerade in Lateinamerika werden Pestizide ganz häufig mit dem Flugzeug ausgebracht, weil die Flächen dort so groß sind. In Europa ist das verboten, aus zwei Gründen: erstens wird die Ausbringung mit einem Flugzeug als nicht verantwortbar angesehen, zweitens haben wir hier andere Sicherheitsstandards. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz wird die Messlatte sehr hoch angesetzt, bevor ein Pestizid überhaupt zugelassen wird, ganz anders als zum Beispiel in Brasilien. Seitdem Präsident Bolsonaro dort an der Macht ist, wurde die Umweltgesetzgebung sehr stark verwässert und dereguliert, gleichwohl wurde der Zugang zu Pestiziden und deren Zulassung deutlich erleichtert. Daher haben wir es dort mit laxeren Gesetzgebungen zu tun. Dort können ganz andere Stoffe auf den Markt kommen. Und das tropische Klima ist im Vergleich etwa zu Europa herausfordernder: Wenn man in diesen Breiten einen sauberen Acker haben will, ist die Versuchung groß, noch gefährlichere Pestizide einzusetzen als hier in Deutschland. Denn der Druck durch Pilze, Insekten oder Unkräuter ist viel höher.Kleinbauern möchten eigentlich immer dort bleiben, wo sie gerade wirtschaften.In vielen Ländern in Afrika, aber auch Asien oder Lateinamerika, sind wir stark mit Umsiedlungen konfrontiert – zum Teil mit Vertreibungen. Bei vielen meiner Dienstreisen habe ich Gemeinden erlebt, die für den Anbau von Cash Crops mit Waffengewalt von ihren Ländereien vertrieben wurden.In Uganda, wo ich war, ist es vorgekommen, dass morgens früh um sieben Uhr jemand bei den Dorfbewohnern auftaucht, mit 100 bis an die Zähne bewaffneten jungen Männern hinter sich und sagt: „Du hast jetzt eine Stunde Zeit, deine Sachen zu packen, und dann bist du hier weg. Und wenn nicht, dann verprügeln wir dich, schlagen deine Tiere tot oder tun deiner Frau Gewalt an.“ Genau so passiert es dann auch. Die Angst ist groß und die Menschen sehr verzweifelt. Diese Art der Landwirtschaft, großflächig, mit großen Maschinen und viel Kapital, nimmt auf die Menschen, die dort leben oder gelebt haben, in der Regel keine Rücksicht. Und dann wird auf diesen Flächen für uns Kaffee oder Tee angebaut.

Diese Monokulturen sind ein ökologisches Desaster“

Welche ökologischen Schäden richten wir damit an?

Dieser industrialisierte Anbau von Produkten wie etwa Soja, das als Schweinefutter genutzt wird, forciert oft Landnutzungsänderungen, sprich, es werden wertvolle Ökoflächen und Lebensräume umgewandelt. Wälder, Weiden oder Trockenwälder in Lateinamerika sind davon betroffen.

Mit Monokulturen aus Soja für unsere Schweinefütterung belegen wir sozusagen für einen Teil dessen, was wir hier essen, Landflächen im Ausland. Denn damit wir hier unseren Standard halten können, also weiterhin dieselbe Menge Eier, Fleisch und Milch erzeugen können, müssen wir dafür Flächen nutzen, die uns hierzulande dafür gar nicht zur Verfügung stehen. Das gilt genauso fürs Öl. Jetzt, wo aufgrund des Krieges in der Ukraine auf einmal das Sonnenblumenöl knapp wird, wird uns das deutlich.Auch Indonesien hat eine zeitlang aufgrund des Ukrainekrieges die Palmölexporte gestoppt. Und auf einmal wurde hierzulande das Palmöl rar. Palmöl finden Sie im Supermarkt als Zutat in rund jedem zweiten Produkt. Wir nutzen dafür Flächen, die nicht in Deutschland oder in der EU sind, sondern im globalen Süden. Die Landwirtschaft läuft dort unter zum Teil extremen Bedingungen. Im Jahr 2017 konnte ich mir in Indonesien den Palmölanbau einmal anschauen. Auf Sumatra kann man acht Stunden über eine Straße fahren, entlang derer sich nur Anbauflächen für Palmöl befinden. Diese Monokulturen sind ein wirkliches ökologisches Desaster.

Kein Palmöl ist auch keine Lösung“ 

Unser Appetit führt zu Monokulturen in ärmeren Ländern. Anbauprodukte enden bei uns als Viehfutter. Unser Konsum ist zu hinterfragen?

Auf jeden Fall. Ich will noch einmal eine Lanze dafür brechen, dass Soja und Palmöl an sich, als pflanzliche Produkte, als Kultur überhaupt nicht schädlich sind. In dieser Debatte kommt immer ganz schnell die Forderung: Auf das Palmöl müssen wir verzichten. Doch Ölpalmen können im Rahmen einer guten landwirtschaftlichen Praxis richtig tolle Pflanzen sein. Sie können nämlich Dinge, die viele andere Palmen bzw. Pflanzen weniger gut können, nämlich unglaublich viel Öl pro Hektar produzieren – also zum Beispiel viel mehr Öl als Sonnenblumen oder Raps. Kein Palmöl ist auch keine Lösung.

Sehr effiziente Pflanzen ...

Super effizient. Aber wenn sie in gigantischen Monokulturen angebaut werden, die Orang-Utans dafür sterben müssen und dafür in Indonesien der Regenwald abgeholzt wird, dann ist das ein Problem – zusammen mit unserem Konsum. Denn in Fertigpizzen, Snacks, vielem Knabberkram, Fertigsuppen, aber auch in vielen Kosmetika, ist genau dieses Palmöl enthalten. D.h., es wäre wichtig, dass wir beim Einkauf darauf achten, was in Produkten drin ist und wie deren Bestandteile angebaut wurden. Da Soja die Eiweißkomponente in der Fütterung für Schweine und Geflügel, zum Teil auch für Rinder, liefert, lautet mein Appell: Weniger Fleisch, weniger Eier, und wenn doch, dann aus ökologischer Produktion. Diese nutzt Futtermittel, die nicht aus Übersee stammen, sondern in der Regel aus Europa.

Wer viel Grünpflanzen und Obst zu sich nimmt, ist auf der sicheren Seite“

Wie kann der globale Norden den globalen Süden unterstützen?

Die größte Krise, die wir derzeit haben, ist die Klimakrise. Wenn wir anfangen, klimagesünder zu essen und zu konsumieren, also möglichst regional, ökologisch, fair und vorwiegend pflanzenbasiert, dann haben wir schon mal eine ganze Menge richtig gemacht. Sowieso, wer sich gesund ernährt, sprich, wer besonders viel Grünpflanzen und Obst zu sich nimmt, der ist schon mal auf der sicheren Seite. Mit dieser Grundregel kann gar nicht viel schief gehen.Wer noch gerne Fleisch, Eier oder Milch isst – das tue ich auch – der muss auch nicht darauf verzichten. Das sind wertvolle Lebensmittel, auch für die Ernährung, aber es geht einfach um die Menge und darum, wo das Essen herkommt. Für die Produkte, die wir lieben, die man hier nur nicht herstellen kann, wie etwa Bananen, Kaffee oder Tee, gilt: Da kann man schon über den eigenen Konsum eine ganze Menge machen, indem man darauf achtet, dass sie unter ökologischen und fairen Bedingungen hergestellt worden sind.

Wären höhere Lebensmittelpreise eine Stellschraube?

Diese relativ platte Forderung nach höheren Preisen unterschreibe ich überhaupt nicht, denn es bedeutet gar nichts für den Landwirt. Das ist eine gängige Forderung der Bauernschaft hier in Deutschland.Große Handelsketten wie Edeka werden natürlich von Kaufleuten geführt. Genauso wie jeder von uns im Einkaufsladen gucken sie natürlich auch darauf, woher das beste Produkt für den günstigsten Preis zu bekommen ist. Deswegen sind einfach höhere Preise überhaupt keine sinnvolle Lösung.

Das günstigste Produkt ist momentan häufig das schädlichste

Sondern?

Es braucht politische Rahmenbedingungen, die es gar nicht erst ermöglichen, dass so schädliche Produkte in die Läden kommen. Warum muss ich mir als Konsument so viele Gedanken darüber machen, wie und womit ich mich ernähre? Das ist überhaupt nicht meine Aufgabe!30 Jahre lang hat man versucht, die Verantwortung komplett auf die Verbraucher abzuschieben, doch als Einzelner kann man nur begrenzt etwas ausrichten. Das Ganze ist genauso zum Scheitern verurteilt wie bei der Bekämpfung der Klimakrise.Mittlerweile wissen wir: Der Verbraucher ist damit total überfordert. Also warum sollte man diese Überforderung noch weiter anheizen? Vielmehr ist die Ernährungsumgebung, in der wir uns befinden, so darauf getrimmt und die Preise und Kosten sagen nicht die ganze Wahrheit, dass viele die falsche Entscheidung treffen, weil nämlich das günstigste Produkt momentan häufig auch das schädlichste ist. Deswegen ist es mir ganz wichtig, dass da eine politische Dimension mitgedacht wird.

Bio ist nicht zu teuer, sondern Konventionell ist zu billig“

Die ökologischen Auswirkungen müssen also eingepreist werden. So würden umweltschädlichere Produkte teurer, biologische dafür günstiger?

Ganz genau. Es gibt auch schon spannende Berechnungen dazu, die benennen, dass pflanzliche Produkte relativ gesehen viel günstiger sind, also viel geringere Umweltfolgekosten haben, als tierische. Für biologische gilt das über fast alle Produktkategorien hinweg übrigens auch. Wenn dann noch Fairtrade hinzu kommt, sprich ein Verbot von Kinderarbeit, ordentliche Löhne und Arbeitsbedingungen, dann ist die Bilanz noch besser. Und auf einmal ist das Schnitzel, was wir derzeit vermeintlich billig kaufen, überhaupt nicht mehr so billig. Also: Bio ist nicht zu teuer, sondern Konventionell ist zu billig.


NIMMER SATT - Aktiv im Thema

solidarische-landwirtschaft.org | Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft e.V. setzt sich „gleichermaßen als Bewegung, basisdemokratische Organisation und Verband“ für umweltschonende Landwirtschaft ein.
enkeltauglich.bio | Das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft streitet für eine „fundamentale Wende der Landbewirtschaftung und der Nahrungserzeugung“.
saat-gut.org | Der „Förderverein zur Entwicklung und Durchführung ökologischer Pflanzenzüchtung“ setzt sich für freies und samenfestes Saatgut ein.

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Interview: Nina Hensch

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