Er schaut aus wie der junge Bruder von Peter Lustig und braucht in dem komplett in Schwarzweiß gehaltenen dokumentarischen Film-Portrait „Democracy – im Rausch der Daten“ von David Bernet eine Handy-App, um einen Krawattenknoten zu flechten: Auch wenn der deutsch-französische Politiker Jan Philipp Albrecht bereits seit 2009 dem Europäischen Parlament (EP) angehört, agiert der 1982 geborene Jurist und Rechtsinformatiker noch etwas tapsig auf dem glatten Parkett der politischen Champions League.
Und obwohl die Krawatte wie ein Fremdkörper am Hals des Polit-Youngsters klebt und sein bürgerrechtliches Engagement insbesondere von der Datenschutzlobby beargwöhnt wird, setzt ihn das EP Anfang 2012 als „Berichterstatter“ für einen EU-Kommissionsentwurf zu einer Europäischen Datenschutzgrundverordnung ein. Albrecht geht gelassen mit der neuen Situation um. Selbst als an ihn herangetragen wird, Personenschutz in Anspruch zu nehmen, behält er kühlen Kopf. Zusammen mit seinem bürgerrechtsorientierten Beraterstab optimiert er unermüdlich die in entscheidenden Punkten als zu weich empfundene Gesetzesvorlage der Luxemburger EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, Viviane Reding.
Albrecht fordert Nachbesserungen, um ein Recht auf Vergessen im Netz durchzusetzen sowie Unternehmen bei Verstoß gegen das künftige Datenschutzgesetz mit einer Strafe von bis zu fünf Prozent des Jahresumsatzes zu sanktionieren. Doch die Datenindustrie-Lobby, deren Aktivitäten – filmisch geschickt – parallel zur Beratungsagenda der Datenschützer zeitweise per Split-Screen eingebettet werden, schläft nicht und bombardiert das Parlament mit über 4000 Änderungsvorschlägen zur überarbeiteten Entwurfsfassung – ein neuer EU-Rekord, an dem Albrecht schier zu verzweifeln droht...
Doch der grüne Politiker stellt sich dem Papierkrieg und wächst über sich hinaus, als er bei zähen „Schattenverhandlungen“ in Hinterzimmern des Parlamentsgebäudes das Grundrecht auf Datenschutz zu verteidigen sucht. Die dramatisch geschickt inszenierten Enthüllungen von Ex-NSA-Mitarbeiter Edward Snowden im Juni 2013 bringen die Wende und verschaffen Albrechts Positionen Akzeptanz: Die Tragweite der Zusammenarbeit zwischen globalen Datengiganten wie Google und Facebook mit dem US-Geheimdienst führt den Politprofis vor Augen, wie sehr ihre eigene Privatsphäre gefährdet ist und dass sie selbst jederzeit Opfer von Datendiebstahl sowie geheimdienstlicher Überwachung werden können.
Die Erkenntnis, dass persönliche Daten als „Öl des 21. Jahrhunderts“ im digitalen Zeitalter nicht nur als ökonomisch ausbeutbarer Rohstoff dienen, sondern in Cyberkriegen auch als Waffen gegen Menschen einsetzbar sind, verhilft dem Gesetzentwurf nach 18-monatigem Beratungsmarathon am 12. März 2014 zu einer 95-prozentigen Mehrheit im EP. Doch bis heute ist das Gesetz nicht in Kraft – der anschließende „Trialog“ zwischen EU-Parlament, Kommission und Rat wird voraussichtlich erst Mitte Dezember 2015 zum Abschluss gebracht, bevor im April 2016 das EP abschließend entscheiden soll.
„Für Datenschutzbeauftragte sieht es nicht nach einem Happy End aus“, zeigt sich Dr. Kai-Uwe Loser im anschließenden Filmgespräch im Endstation-Kino im Bahnhof Langendreer skeptisch. Zwar bangt der Datenschutzbeauftragte der Ruhr-Uni Bochum nicht um seinen eigenen Job – jedoch befürchtet er, dass deutsche Standards in diesem Bereich durch eine europäische Regelung aufgeweicht und hierzulande künftig wesentlich weniger Stellen dieser Art existieren könnten.
Ähnliches gelte für die Kreditwirtschaft, der laut aktuell „geleaktem“ Verhandlungsstand zur Europäischen Datenschutzgrundverordnung weitreichendere Befugnisse zur Speicherung persönlicher Daten (sogenanntes „Scoring“) zwecks Überprüfung der Kreditwürdigkeit eingeräumt würden als bisher. Der Datenschützer formuliert seine Kritik eher deskriptiv: „Datenverarbeitung ist eine Infrastruktur für das Leben“, sagt Loser und stellt fest: „In bestimmten Bereichen schränkt der Staat Freiheiten ein.“ Etwa durch eine immer engmaschigere Kameraüberwachung – so werde man mittlerweile von rund 300 Kameras überwacht, wenn man einmal London durchquert.
Gerade wenn es um das Thema Kameraüberwachung geht und der ansonsten unsichtbare „Große Bruder“ physisch spürbar wird, hat das von einer klassischen Erzählstruktur geprägte Doku-Drama seine vielleicht stärkste Szene: Panisch hechtet eine Gruppe Jugendlicher über eine Kreuzung, als sie von einer überlebensgroßen „menschlichen Kamera“ verfolgt wird. Und doch entpuppt sich der plakative Umgang mit diesem Aspekt der Überwachung zugleich als diskursive Schwäche des Films, indem verschwiegen wird, dass im Gesetzentwurf keinerlei Regelungen mehr vorgesehen sind, um Kameraüberwachung im privaten oder öffentlichen Raum zu limitieren.
So erweist sich der Triumph des „großen Albrecht“, wie ein niederländischer Parlamentarier-Kollege ihn am Ende tituliert, spätestens im nachfolgenden Filmgespräch als Pyrrhussieg. Vielleicht hat die „digitale Demenz“ den Fokus auf das eigentlich Wichtige ja bereits verwischt.
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