Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
2 3 4 5 6 7 8
9 10 11 12 13 14 15

12.586 Beiträge zu
3.805 Filmen im Forum

Lebendige Literaturinszenierung – Dean Luthmann
Foto: Ulrich Schröder

Kafkaesk?

31. August 2017

Dean Luthmann mit Kisch in Gladbeck – Lesezeichen 09/17

Er gilt als einer der bedeutendsten Journalisten: der 1885 in Prag geborene „rasende Reporter“, dessen gleichnamiges Buch 1925 erschienen ist. Doch nicht nur für seine mitreißenden Reportagen, die er als „Kunst- und Kampfform“ betrachtete, war Egon Erwin Kisch bekannt; auch literarisch hatte der sich nach dem Ersten Weltkrieg zum Pazifismus und Kommunismus bekennende Vielschreiber einiges zu bieten: So sind seine Erzählungen durchaus mit denen eines Franz Kafka zu vergleichen, mit dem Kisch zudem seine deutsch-jüdischen Wurzeln gemeinsam hatte. Mit einer in den Pausen zwischen den Texten leitmotivisch von Smetanas „Moldau“ begleiteten Lesung bereitete der in Berlin aufgewachsene Wahl-Mülheimer und Theatermacher Dean Luthmann dem Vorreiter des investigativen Journalismus am 11. August in der „Scheune“ des kaukasisch-russischen Restaurants Lezginka in Gladbeck eine würdige Hommage.

Wie die klassische Begleitmusik oszilliert Luthmanns theatergeschulte Stimme zwischen euphorisch und melancholisch, laut und leise. „Zur Erregung brauch’ ich Ruhe!“, schmettert der Gründer des in den 90ern zusammen mit seiner Frau ins Leben gerufenen Theaters „affabile“ plötzlich durch die stimmungsvolle „Scheune“ des nach einem kaukasischen Volkstanz benannten Restaurants. Zum Auftakt leiht er sein Organ dem Protagonisten der Kisch-Satire „Lobing – pensionierter Redakteur“, der Telegrafen und Telefone hasst; eine skurrile, doch gerade angesichts gegenwärtig grassierender Mobiltelefonitis durchaus nachvollziehbare Eigenschaft. Standhaft weigert er sich zudem, seinen dem Jiddischen entlehnten Nachnamen „Löwi“ in „Lobing“ zu ändern. Andere (teils satirische) Kurzerzählungen nehmen Hitlers unrechtmäßige Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz sowie das absichtliche faschistische Bombardement des „ausgeräumten Prado“ im Spanischen Bürgerkrieg aufs Korn oder widmen sich dem jüdischen Leben im mexikanischen Exil und in Böhmen-Mähren. Am 8. September wird die Lesereihe des Theaters „affabile“ in der „Scheune“ des – hervorragenden – Lezginka mit einer Veranstaltung über den sorbisch-deutschen Autor und Journalisten Erwin Strittmatter fortgesetzt.

Ulrich Schröder

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Die Ironie des Lebens

Lesen Sie dazu auch:

Zerstörung eines Paradieses
„Wie ein wilder Gott“ von Gianfranco Calligarich – Literatur 09/24

Lektüre für alle Tage
Lydia Davis‘ Geschichtensammlung „Unsere Fremden“ – Textwelten 09/24

Trennen vom Alten, Platz für Neues
Großer Buchverkauf bei Proust in Essen

Unterstützung für Ratsuchende
Lesung + Gespräch zur queersensiblen Seelsorge im Medienforum Essen

Reise durchs Eismeer
„Auf der Suche nach der geheimnisvollen Riesenqualle“ von Chloe Savage – Vorlesung 09/24

Schluss mit normativen Körperbildern
„Groß“ von Vashti Harrison – Vorlesung 08/24

Weibliche Härte
„Ruths Geheimnis“ von Aroa Moreno Durán – Textwelten 08/24

Geschichte eines Vierbeiners
„Wie die Katze zu uns kam“ von Lena Zeise – Vorlesung 08/24

Mal angenommen, dies sei wahr
„Kälte“ von Szczepan Twardoch – Literatur 07/24

Kollektive Selbstermächtigung
„Be a Rebel – Ermutigung zum Ungehorsam“ von Victoria Müller – Literatur 07/24

Blicke auf Augenhöhe
„Die Blumenfrau“ von Anne-Christin Plate – Vorlesung 07/24

Eine unglaubliche Geschichte
„Die Komponistin von Köln“ von Hanka Meves – Textwelten 07/24

Literatur.

Hier erscheint die Aufforderung!