Wir Musikschreiber hassen den Festivalsommer. Der Sound auf den Open-Air-Bühnen ist in der Regel breiig, man muss für jede Kleinigkeit anstehen und zusätzlich leidet unsere vornehme Konzertraum-Blässe. Dazu kommt noch, dass wir auf Festivals eigentlich überflüssig sind. Wer will sich schon ein schönes Wochenende mit Freunden von einem überkritischen Musiknerd miesmachen lassen? "You don't need a weatherman to know which way the wind blows", hat Bob Dylan mal gesungen und jedes Jahr nehmen ihn Festivalbesucher auf der ganzen Welt beim Wort.
Ab Pfingsten, dem ersten Wochenende des Festivalsommers, ist aber auch der Musikfan in uns im Dilemma. Denn die interessanten Clubkonzerte, sie werden dann auf die Nachmittagsbühnen der Festivals verlegt. Nur Indie- und Rockfans haben es da leicht. Sie brauchen bloß nach Ostwestfalen fahren. Hier findet in einem Obstgarten in der Kleinstadt Beverungen das Orange Blossom Special statt. Das Orange Blossom ist der grüne Hügel für Liebhaber des Songwritings: erlesene Gäste und die Neuinszenierung eines altbekannten Leitmotivs. Und an Tickets zu gelangen, ist ähnlich schwierig. Vorher buchen ist dringend angeraten.
Reichlich Tickets gab es zumindest bei Redaktionsschluss noch für das Traumzeit-Festival. Das ist zwar im Duisburger "Hochöfen zu Hochkultur"-Spielort namens Industriepark Nord beheimatet, hat aber nichts von dessen etwas peinlicher Strukturwandels-Patina. Das Programm von Traumzeit orientiert sich an den Best-Of-Charts des Indiegeschmacksbürgertums: Als Klassiker treten die Schotten Mogwai auf, deren epischer Breitwand-Rock stilsicher in die Stahl-Kulisse passt. Elektronikfans freuen sich über den Wall of Sound von Caribou und wer Punkrock mit Geschichten mag, sollte bei den Kanadiern von The Weakerthans vorbeischauen, die genauso eloquent über Herzschmerz wie über Michel Foucault singen können. Und weil das Traumzeit eher eine Konzertreihe ist, halten sich die unangenehmen Nebeneffekte von Überfüllung und Partytourismus in Grenzen.
Das Dortmunder Juicy Beats ist dagegen zu Recht ein Volksfest. Auch dieses Jahr gibt es wieder ein Maximum an Musik für einen minimalen Unkostenbeitrag. Headlinerin ist die Queer-Ikone Beth Ditto, die mit ihrer Mischung aus Motown-Soul und Post-Punk das interessante Rolemodel des letzten Jahrzehnts abgegeben hat. Da lohnt es sich bis zum Ende zu bleiben. Ansonsten ist das Programm gewohnt vielseitig, pendelt zwischen Berliner Hipstertum und Dortmunder House-Legenden. Ein wenig vermisst man aber diesmal das Gespür für die feinen Verästelungen elektronischer Musik, die das Juicy Beats seit Beginn gekennzeichnet haben.
Für diese muss man dieses Jahr auf die Rennbahn nach Düsseldorf-Lörick fahren. Querfinanziert durch den Headliner Editors treten dort auf dem Open Source-Festival sowohl Mount Kimbie als auch Jamie XX auf. Erstere haben mit ihrem Debüt im letzten Jahr die Subbässe britischer Dubstep-Provenienz mit einer gehörigen Portion Elektronika-Abstraktion kombiniert, die den Dancefloor in Richtung Kunsthochschule verließ. Jamie XX, hauptberuflich Bassist der Neo-Shoegazer The XX, ist gerade im UK der Mann, wenn es darum geht, die im Nostalgiemodus gefangene Popmusik qua Remix in die Gegenwart zu befördern. Und weil das Festival inmitten der Düsseldorfer Clublandschaft endet, ist man als Festivalhasser gleich doppelt versöhnt.
Orange Blossom I Beverungen I 10.-12.6. I 05273 36 36 36
Traumzeit I Duisburg I 1.-3.7. I 0203 283 27 16
Juicy Beats I Dortmund I 30.7. I 0231 138 42 59
Open Source I Düsseldorf I 23.7. I 0180 330 33 30 (9ct./min.)
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