Tausende tanzende Menschen, frenetisch feiernde Fans, Wellenbrecher, Stroboskoplicht, Konfetti, Bands und Djs: So kennt man die große Festwiese im Westfalenpark, wenn das alljährliche Juicy-Beats-Festival seine musikalischen Früchte im Park verteilt. Dagegen wirkt der Aufbau für die Juicy-Beats-Park-Sessions wie für ein Kurkonzert: Großzügig verteilt bieten je paarweise miteinander verbundene Stühle Platz für 350 Zuschauer. Zwischen den Stuhlpaaren beträgt der Abstand nur mit viel gutem Willen und zwei zugedrückten Augen 1,50 m, aber durch Bierkästen wird der Abstand fest definiert und gleichzeitig das Problem der Flaschenrückgabe pragmatisch gelöst. An den Essens- und Getränkeständen herrscht bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen eine entspannte Atmosphäre ohne Drängeln in den locker aufgefädelten Schlangen. In den Toiletten gibt es fließendes Wasser, Seife und Desinfektionsmittel. Dass ein großes Wiesenareal in der Wartezeit nicht zum Sitzen oder Liegen genutzt werden darf, ist schade, aber verständlich in der aktuellen Situation, in der Veranstalter stets die Gefahr eines Verbotes vor Augen haben müssen. Schließlich gab es erst vor ein paar Tagen große Diskussionen um Polonaisen beim Konzert der Kapelle Petra in Hamm, wo die Reihe „Livesommer“ mit einem ähnlichen Konzept auf die Beine gestellt wurde wie die Park-Sessions.
Nach kurzen Hinweisen zu den geltenden Regeln (Mindestabstand halten, überall außer am Sitzplatz Maskenpflicht) betritt Thees Uhlmann die Bühne. Die Freude über diesen Gig ist ihm anzumerken. Es ist erst sein zweiter nach dem Corona-Lockdown. „Fünf Jahre nicht gesungen“, der Song, mit dem Uhlmann auf der letzten Tour die meisten Konzerte eröffnete, ist auch hier ein gelungener Einstieg, um das Publikum nach einer gefühlten „halben Dekade“ wieder auf den Live-Modus einzustimmen. In Trio-Besetzung (Simon Frontzek und Rudi Maier an Keyboard, Gitarre und weiteren Instrumenten) werden Uhlmanns Songs auf ihren Kern reduziert, die Kanten ein wenig abgeschliffen und der Druck herausgenommen. Letzteres ist aber der Situation angemessen, schließlich hätte es die Fans bei einem Gig der gesamten Uhlmann-Band sicherlich kaum auf ihren Sitzen gehalten. So wird auch der Rap-Part in „& Jay-Z singt uns ein Lied“, der auf der Albumversion von Casper runtergerissen wird, fast lyrisch rezitiert. Das Publikum erweist sich als textsicher, auch wenn der Gedanke an mögliche Übertragungen durch lautes Singen möglicherweise auch hier die Inbrunst etwas bremst: Der „Gefangenenchor“ jedenfalls musste erst von Uhlmann aufgefordert werden. Wer die langen und ausufernden Ansagen von Thees Uhlmann kennt, wird ahnen, dass ihn das ruhigere Format dazu reizt, noch ungebremster aus dem Nähkästchen zu plaudern. Seine neue „Feste Freundin“, Markus Wiebusch und Kettcar, Dialoge mit seiner Mutter, das Musikgeschäft… – wenn Uhlmann nicht bereits musikalisch als der deutsche Bruce Springsteen gehandelt würde, könnte er im Spoken-Word-Sektor als deutsche Antwort auf Henry Rollins antreten.
Eine kleine Schwachstelle des Konzerts ist eine eingestreute Lesung aus Uhlmanns im Frühjahr erschienenen Buch über die Toten Hosen. Nicht, weil das Buch schlecht wäre, nicht weil Uhlmann nicht vorlesen könnte – sondern weil er ausgerechnet das Kapitel ausgewählt hat, das die Fans zum größten Teil schon als Anekdote auf der letzten Tour gehört haben dürften. Und in seinem unnachahmlichen und spontan wirkenden Erzählrhythmus kommt diese Episode einfach lebhafter rüber als vorgelesen.
Es folgt als Coverversion „Liebeslied“ von den Hosen, natürlich darf auch das Fischelied („Zum Laichen und Sterben…“) nicht fehlen, dazu noch ein wenig Kettkar und Tomte. Die „Zugvögel lässt er nicht aufsteigen, obwohl tief fliegende Gänse über der Konzertwiese die perfekte optische Untermalung böten. Als sich nach etwa zwei Stunden das Konzert dem Ende zuneigt, steht zwar bereits der Mond am Himmel, aber es ist noch weit davon entfernt, dunkel zu werden. Passenderweise spielt Uhlmann als letzte Zugabe „Die Schönheit der Chance“ von seiner alten Band Tomte. Wie kann man besser beschreiben, dass trotz Corona-Pandemie auch das kulturelle Leben weitergehen kann, als mit diesem Refrain, der als Ohrwurm sicherlich noch viele Konzertbesucher auf ihrem Heimweg durch den abendlichen Westfalenpark begleiten dürfte?
„Die Schönheit der Chance
Dass wir unser Leben lieben so spät es auch ist
Das ist nicht die Sonne die untergeht
Sondern die Erde die sich dreht“
Weitere Termine unter parksessions.juicybeats.net
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