Es ist einer dieser Begriffe, die nicht totzukriegen sind. Was nach dem piefigen Heimatfilm der Nachkriegszeit überwunden geglaubt war, erlebt seit einigen Jahren ein Revival. Konservative bis rechtsextreme Kräfte vermarkten Heimat wie einen exklusiven Club, bei dem allein sie bestimmen, wer rein darf und wer nicht. Selbst wenn alle anderen sich noch so sehr als Weltbürger*innen fühlen, hilft manchmal nur die Selbstaneignung des Heimatbegriffs. Diesen Versuch unternimmt auch das Literatürk-Festival mit dem Motto seiner 15. Ausgabe #irgendwasmitheimat. In mehr als 20 Veranstaltungen an verschiedenen Orten in Essen geht es aber nicht nur um positive Umdeutung. Denn hinter dem angestaubten Konstrukt steht tatsächlich die Frage von Zugehörigkeit(en) im Zeitalter der Globalisierung.
Ironisch geht İdil Baydar, alias Jilet Ayşe an die Thematik. Die durch ihren unverschämt witzigen YouTube-Kanal bekannt gewordene Kunstfigur ist mit ihrem zweiten Solo-Programm „Ghettolektuell“ bei Literatürk zu Gast. Ernster dürfte es dagegen bei ihrer Lesung Mithu M. Sanyal, Sharon Odua Otoo, Hengameh Yaghoobifarah und Max Czollek, vier der 14 Autor*innen des Sammelbands „Eure Heimat ist unser Alptraum“ oder Thomas Ebermann mit seinem Anti-Themenabend „Heimat – Eine Besichtigung des Grauens“ mit der Ablehnung von Identitätspolitiken sein. Die klassischen Autorenlesungen mit anschließendem Gespräch, unter anderem noch mit Kerim Pamuk, Ali Can, Joana Osman, Ferda Ataman oder Feridun Zaimoğlu, werden durch Diskussionsrunden, Ausstellungen und die Inszenierung eines „Ruhrfausts“ in Kooperation mit dem Grillo-Theater ergänzt.
Humorig ist allerdings der Auftakt. Bei der Festivaleröffnung feiert das Publikum an langen Tischen mit Musik, Performancekunst und Bauchtanz von Drag-Queen Prinz Emrah die Vielfalt „kanakischer Kultur“ in Deutschland. Kanake ist übrigens nicht erst seit „Kanak Attack“ ein positiv umgedeuteter Begriff, sondern schlicht ein Synonym für Mensch. Wenn das mit der Heimat doch bloß auch so einfach wäre.
Literatürk – 15 Internationales Literatur-Festival | 11. - 23.11. | Essen | literatuerk.com
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Auch Frauen können Helden sein
„Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah – Literatur 11/24
Russlands Zukunft
Felix Jaitner über Russland in der VHS Dortmund
Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24
Literatur in Höchstform
25. LesArt.Festival in Dortmund – Festival 11/24
Schaffenskraft und Schaffenskrise
20. Ausgabe des Festivals Literaturdistrikt in Essen – Festival 11/24
Nachricht aus der Zukunft
„Deadline für den Journalismus?“ von Frank Überall – Literatur 10/24
Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24
Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24
Risse in der Lüneburger Heide
„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24
Förderung von Sprechfreude
„Das kleine Häwas“ von Saskia Niechzial, Patricia Pomnitz und Marielle Rusche – Vorlesung 10/24
Frauen gegen Frauen
Maria Pourchets Roman „Alle außer dir“ – Textwelten 10/24
Wie geht Geld?
„Alles Money, oder was? – Von Aktien, Bitcoins und Zinsen“ von Christine Bortenlänger und Franz-Josef Leven – Vorlesung 09/24
Das Über-Du
Auftakt von Literaturdistrikt mit Dietmar Dath und Wolfgang M. Schmitt – 11/24
Comics über Comics
Originelle neue Graphic Novels – ComicKultur 11/24
Sprachloser Aufbruch
Philosoph Wolfram Eilenberger auf der Lit.Ruhr – Literatur 10/24
Mit Sörensen zum Eisbaden
Sven Stricker und Bjarne Mädel beim Festival „Mord am Hellweg“ – Literatur 10/24
Krawall und Remmidemmi
Begehren und Aufbegehren im Comic – ComicKultur 10/24