Die Reihe „Kunst lesen“ vom Kunstmuseum Bochum und dem Literaturbüro Ruhr wandert ab April nach Duisburg ins Lehmbruck Museum. Den Auftakt macht Journalist, Moderator und Schriftsteller Jörg Thadeusz. Sein Roman „Steinhammer“ (Kiepenheuer & Witsch) orientiert sich am Leben des Malers Norbert Tadeusz. Der Beuys-Meisterschüler und Kunstprofessor schreibt sich zwar im Nachnamen ohne „h“, doch tatsächlich ist der Autor mit ihm verwandt. Bei dem Buch handelt es sich allerdings um biographisch gefärbte Fiktion: Aus Tadeusz wird im Roman Edgar Woiczik – und er ist auch nicht alleiniger Protagonist. Nachbarsjunge Jürgen und vor allem Nelly, die Tochter einer Schreibwarenhändlerin, sind ebenso interessante Charaktere.
Die Härte der Nachkriegszeit
In den späten 1950er Jahren träumen die drei Freunde in Lütgendortmund davon, auszubrechen aus den beruflichen Werdegängen, die ihre Eltern für sie vorzeichnen. Der 1968 geborene Thadeusz fühlt sich dabei überzeugend in die Gefühlswelt der Generation ein. „Das war das Abenteuer“, berichtet der Autor vom Entstehungsprozess: „Nicht länger genervt weghören, wenn die Eltern und deren Freunde die immer gleichen Geschichten erzählen. Ich habe den Spieß umgedreht und nach dem gefragt, was sich nicht durchweg zur Anekdote eignet. Ich war im Zeitungsarchiv und habe in den Ausgaben der Westfälischen Rundschau festgestellt, wie allgegenwärtig der Krieg noch 1956 und 1957 war. Habe das hervorragende Buch ‚Wolfszeit‘ gelesen. Die ungeschliffenen Härten dieser Zeit kann ich mir nur vorstellen. Musste sie niemals selbst erleben. Auch dann nicht, als meine Mutter zwischenzeitlich alleinerziehend und der Strom auch mal abgestellt war.“
Tonspur im Kopf
Es sind nicht nur die inneren Konflikte seiner Protagonisten, die Thadeusz glaubwürdig schildert, auch der Tonfall des Reviers klingt bei dem gebürtigen Dortmunder authentisch. „Erstaunlicherweise musste ich nur eine Tonspur im Kopf hochziehen“, so Thadeusz, „Ich weiß, wie die Leute geklungen haben. Auch deswegen, weil mir längst nicht immer gefallen hat, was ich hörte. Mir fallen dann immer rotgesichtige Männer ein. Als junger Mann erschienen die mir logischerweise steinalt. Leicht angetrunken. Derber, als sie sein müssten. Schroff, ungehobelt. Im echten Erleben war das nicht alles eine lustige Herbert-Knebel-Sause.“ Thadeusz bekennt sich zu seiner Herkunft: „Meine Heimat ist Dortmund. Daran ändert sich nichts. Ich fühle mich dort sehr wohl. Bin regelmäßig in der Stadt. Vor allem aber in den Vororten. Die sind bei Sonnenschein wunderschön. An den grauen Tagen sind sie wie immer.“
Luxus Fluxus
Für Woiczik eröffnet sich dann doch noch eine andere berufliche Laufbahn: Er wird Schaufensterdekorateur beim Kaufhaus Horten, wo sein malerisches Talent auffällt. So gelangt er als Arbeiterkind an die Düsseldorfer Kunstakademie, wo er, der Farben fühlt und intuitiv malt, mit dem theoretischen Diskurs und der ständigen Infragestellung von Kunst fremdelt. Er lernt in dem Polizisten Alfons einen Bruder im Geiste kennen und als die Kunstprofessorin Johanna Alvaro die altehrwürdige Akademie auf den Kopf stellt, ist er vorne mit dabei. Der Roman nennt keine Klarnamen, aber Josef Beuys, Anatol, Wolf Vostell und andere sind für Kunstfreunde erkennbar. Edgar wird nie ganz Teil dieser Kunstszene und fühlt sich zeitlebens wie ein Hochstapler.
Verborgene Wünsche
Die Inspiration dazu, Norbert Tadeusz zum Romanhelden zu machen, lieferte dem Autor Anne Geesthuysens Buch „Wir sind doch Schwestern“: „Ich kenne Anne ein wenig und sie hat mir erzählt, wie sie der Familiengeschichten als Jugendliche überdrüssig war. Wie aber ganz andere Zusammenhänge an die Oberfläche kamen, als sie ihre journalistischen Werkzeuge plötzlich zuhause ausgepackt hat. In der vertrautesten, scheinbar selbsterklärenden Umgebung. Ich bin Annes Beispiel gefolgt.“ So konnte er hinter familiäre Anekdoten blicken: „Wie bei Familienabenden üblich, gab es viele falsche Erzählungen über Norbert. Den Künstler. Düsseldorf, Bilder malen, statt was Anständiges zu machen und Häuser zu streichen – in meiner Familie alles sehr verdächtig. Wie so oft wurde jede Neugier mit Klischees erstickt. Lebt von Luft und Liebe, erkennt die Leute von früher nicht mehr, total abgehoben. So ging diese Erzählung. Denn wäre Künstlersein eine feine Sache, hätten die Elektriker, Klempner und Fliesenleger am Tisch womöglich nach verborgenen Wünschen in sich selbst forschen müssen. Zu anstrengend.“
Thadeusz hält auch die hiesige Literaturszene im Blick. Doch die Frage, wem wohl der „große Ruhrgebietsroman“ zuzutrauen wäre, gefällt ihm ebenso wenig wie der Begriff einer Ruhrgebietsliteratur selbst: „Ich würde Frank Goosens Bücher auch mögen, wenn sie in Niederbayern spielen würden. Fritz Eckenga ist kein Ruhrgebietspoet, sondern ein bedeutender Dichter in deutscher Sprache. Hatice Akyün stammt aus Duisburg. Auch eine tolle deutsche Schriftstellerin, der jederzeit ein weiteres tolles Buch zuzutrauen ist. Das darf aber auch in Izmir oder Wiesbaden spielen. Mein Roman feiert die Durchsetzungskraft eines Individualisten. Norbert Tadeusz könnte auch aus Iowa kommen.“
Jörg Thadeusz: Steinhammer | 13.4. | Lehmbruck Museum Duisburg | 0203 283 32 94
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