Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
6 7 8 9 10 11 12
13 14 15 16 17 18 19

12.581 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Maria Pourchet
Foto: © Richard Dumas

Frauen gegen Frauen

26. September 2024

Maria Pourchets Roman „Alle außer dir“ – Textwelten 10/24

Die Autofiktion besitzt in Frankreichs feministischer Literatur eine Tradition, die mit großen Namen bestückt ist. Ob in den Büchern von Marguerite Duras, Christine Angot oder Annie Ernaux, stets scheint diese Form der Literatur eine besondere Möglichkeit für unbequeme Wahrheiten zu bieten. Wer von sich selbst spricht, bekundet Wahrhaftigkeit und zugleich ermöglicht der fiktionale Ansatz Spielräume, die von der Statik der Bekenntnisse entlasten. Auch Maria Pourchet bezeichnet ihren Text „Alle außer dir“ als Roman. Und doch weist Marie, ihre Erzählerin, zahlreiche Parallelen mit ihrer eigenen Biographie auf. Wie Pourchet, die aus dem abgelegenen Epinal in Lothringen kommt, ist auch sie in der Beobachtungshölle einer Kleinstadt aufgewachsen. Von dort ist die Flucht nach Paris für das Studium und eine angestrebte Autorinnenkarriere fast obligatorisch.

Als Marie im Kreißsaal den nachlässigen Behandlungen der Krankenschwestern ausgesetzt ist, entzündet sich jener innere Monolog, der sie schon ein Leben lang umtreibt, aufs Neue. Warum behandeln Frauen andere Frauen schlecht? Das ist die zornige Frage einer Tochter, die sich von ihrer Mutter stets ungeliebt und verachtet fühlte. Als „fleischgewordener Fehler“ erlebt sich diese Tochter. Marie war stets das Kind, das nach Schulschluss nicht abgeholt wurde und das nicht an der Hand über die Straße geführt wurde, sondern das man nur am Ärmel zog. Ja, die Tochter wird für die Mutter zum Prellbock, auf den diese unablässig ihre verbale Missbilligung niederprasseln lässt. Und trotzdem hat Marie es geschafft, zu entkommen und sich ein eigenes Leben aufzubauen. Den Schatten der Mutter wird sie dennoch nie ganz los. Fast monomanisch arbeitet sich Marie an dieser verbitterten Muttergestalt ab, die schon durch die Lieblosigkeit der Großmutter gezeichnet war. Die Machtlosigkeit, die die Frauen in der patriarchalen Gesellschaft der Provinz erdulden mussten, erzeugt eine Frustration, die sich in Bosheiten Luft verschafft. Mit ihrem knappen, temperamentvollen Ton und dem Blick für die kleinen entlarvenden Alltagsgesten bietet Maria Pourchet einen Roman, der Zorn und Erkenntnis erfrischend kombiniert.

Maria Pourchet: Alle außer dir | A. d. Franz. v. Claudia Marquardt | Luchterhand Literaturverlag | 172 S. | 22 Euro

Thomas Linden

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

We Live In Time

Lesen Sie dazu auch:

Gespräch über die Liebe
„In einem Zug“ von Daniel Glattauer – Textwelten 01/25

Mit KI aus der Zwangslage
„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25

Unfall oder Mord?
Jens Prüss-Lesung in der Düsseldorfer Zentralbibliothek

Schriftstellerin im Exil
Maria Stepanova liest bei Proust in Essen

Vorlesestunde mit Onkel Max
Max Goldt in den Kammerspielen Bochum – Literatur 01/25

Doppelte Enthüllung
„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24

Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24

ABC-Architektur
„Buchstabenhausen“ von Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer – Vorlesung 11/24

Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24

Auch Frauen können Helden sein
„Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah – Literatur 11/24

Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24

Literatur in Höchstform
25. LesArt.Festival in Dortmund – Festival 11/24

Literatur.

HINWEIS

Diese Website verwendet anonymisierte Cookies, um bestmögliche Funktionalität zu gewährleisten.
Mehr informationen
ladend