„Am siebenten Tage aber sollt ihr ruhen!“ Bibelsprüche haben Karlheinz Stockhausen eigentlich immer interessiert, weil die Wahrheit ja nicht nur im Wein liegt. Deshalb hat seine „Woche aus Licht“ auch sieben Tage und dieser siebte Tag aus „Licht“ erblickt jetzt als Gesamtaufführung des Sonntags erstmals selbiges im Staatenhaus in Köln.
Wäre der Meister nicht sanft entschlafen, seine Kommentare zur fürchterlichen Natur- bzw. Fortschritts-Apokalypse in Japan hätten erneut seine Ehrenbürgerschaft in seinem Heimatort Kürten aufs Spiel gesetzt – wie damals bei den New Yorker Türmen. Dabei konnte Stockhausen, schon heute ein Markenzeichen in der Neuen Musikgeschichte, herrlich abstrahieren von dem elenden weltlichen Elend und aus ganz abgehobener Perspektive übergeordnete Zusammenhänge erkennen. Das konnten früher nur die Kirchenmänner.
Und deshalb steht bei der Inszenierung des Sonntags durch die Kölner Oper auch ein Theologe als Gastdramaturg bereit, eigentlich logisch, denn die Theologen kümmern sich seit Urgedenken besonders um die Sonntagsgestaltung – könnte man meinen, doch weit gefehlt. Stockhausen hat explizit jede Szene in seiner Oper Gott gewidmet – und Gottes Werk ist gewaltig.
Das war beim „Samstag“ übrigens anders, da war ich selbst mit von der Partie. Die Mailänder Scala war 1984 der Veranstalter, sie hatte einen Sportpalast gemietet, weil die Riesenbühnenfratze nicht auf die Scalabühne gepasst hätte. Der Starregisseur Luca Ronconi, ein netter zurückhaltender Herr, hatte die Regie und lag meist auf ausgelegten Sitzwürsten – der Meister Stockhausen wusste ganz allein, wo es lang ging. So beschränkte sich Luca auf Hilfen bei der Aussprache von italienischen Worten – die weise Entscheidung eines großen Theatermannes. Einen Gruß, den gibt es auch im Sonntag, bliesen damals Blechbläser von den Tribünen wie eine dämonische Fanfare. Stockhausen schuf nicht nur neue Klänge, sondern auch anrührende Bilder – die erwarten uns teilweise auch im Staatenhaus. Ein Teil, die Hoch-Zeiten, lief erstmals auf den Kanaren. Zwei Ensembles spielen genau synchronisiert in zwei beieinander liegenden verkabelten Sälen, und manchmal wehen Einspielungen des anderen Saals in das Live-Geschehen. Das komponierte Ergebnis kann nur bei absolutem Synchronismus zufrieden stellen. Und ich erinnere mich gesehen zu haben, dass beim Startzeichen des Klangregie führenden Meisters in Saal 1, übermittelt via Bildschirm, der Regie führende Assistent in Saal 2 gerade mit dem Kopf unter der Tischplatte nach einigen Kabeln guckte. Na ja, ich möchte es nicht beschwören. Aber es wäre eh nur in der Partitur ersichtlich gewesen.
Allein die Verkabelung der Säle macht deutlich, wie aufwendig und unberechenbar die Werke des absolut peniblen Perfektionisten Stockhausen sind. Heute verwaltet das Künstlerische Erbe Kathinka Pasveer, eine der Lebensgefährtinnen und Interpretinnen Stockhausens.
Wer auf der Suche nach Gott ist, muss nicht in das Staatenhaus. Wer aber unkonventionelle, vom Aufwand her extrem große Oper in bester Ausführung erleben will, der sollte sich auf den Weg machen. Ich zitiere die Ankündigung der Oper, was sich jeder vorab merken sollte, um sich einzuswingen: „Es sind sechs Gesamtaufführungen geplant, davon vier auf zwei Tage geteilt, also zwei an einem Tag.“
„Sonntag“ aus Licht, Oper von Karlheinz Stockhausen
R: Carlus Padrissa
Oper Köln im Staatenhaus am Rheinpark
Uraufführung: 9./10.4. 19.30 Uhr
Weitere Vorstellungen: 20.4. 19.30 Uhr, 26. Apr. 2011 19.30 Uhr, 28.4. 2011 19.30 Uhr
Gesamtaufführungen (Teil 1 & Teil 2): 24.4. 2011 12.00 Uhr, 1.5. 12.00 Uhr
www.operkoeln.com
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